Marie-Thérèse Chappaz: Die Reben und das Leben.

3. März 1960 –

 

Aufgenommen am 18. Januar 2017 in Fully.

http://www.plansfixes.ch/films/marie-therese-chappaz/

 

> Mit 36 erhielt Marie-Thérèse Chappaz von Gault-Millau die Auszeichnung „Winzerin des Jahres“. Das Jahr drauf wechselte sie zum bio-dynamischen Landbau. Während der Umstellung ging die Qualität der Weine etwas zurück. Aber die Kunden blieben der Winzerin treu. Heute, mit 60, bekommt sie von Parker Punktzahlen, die an die hundert heranreichen und ihr wunschlose Perfektion attestieren. <

 

Mit 17 erhielt Marie-Thérèse Chappaz vom Vater ein Stück Rebland bei Martigny im Rhonetal. Sie nahm das Geschenk an unter der Bedingung, dass sie es nach ihrem Gutdünken bewirtschaften könne. Damit wurde sie Winzerin.

 

Das Handwerk lernte sie gründlich. Nach einem einjährigen Praktikum in der Kellerei von Biollaz verbrachte sie sechs Jahre in Changins, also der heutigen Hochschule für Weinbau und Önologie; zuerst als Studentin, dann als Mitarbeiterin in der Forschung. Mit diesem Rucksack kehrte sie zurück ins Wallis.

 

Umsichtig erweiterte sie nun den Betrieb. Zu den ursprünglichen anderthalb Hektaren erwarb sie Parzelle um Parzelle, bis sie wieder jene 10 ha grosse Fläche beisammen hatte, die ihrem Grossonkel Maurice Troillet gehört hatte (einem Walliser Staatsmann [1880–1961], der an der Spitze der Kantons­regierung gestanden war).

 

Das alles kann man der Homepage entnehmen; es findet sich auch im französischen Wikipedia-Eintrag; und Marie-Thérèse Chappaz referiert es bei der Aufnahme für die „Plans Fixes“. Doch tritt da noch etwas Bemerkens­wertes hinzu: Der Wille zur Ehrlichkeit.

 

Auf die Fragen von Florence Grivel antwortet Marie-Thérèse Chappaz so unumwunden wie möglich. Das zeigt sich daran, dass sie vor keinem unbequemen Geständnis zurückweicht. Sie bekennt, dass sie selten mit sich zufrieden ist; dass sie sich häufig Sorgen macht; dass es ihr unangenehm ist, sich mit sich selbst zu beschäftigen; dass sie keinen Mann gefunden hat; dass sie ihre Tochter allein erzogen hat; dass sie sich manchmal fragt, warum sie immer den schwierigeren Weg wählt statt den leichteren.

 

Bei diesen Aussagen, die an sich nicht lustig sind, wird Marie-Thérèse Chappaz jedesmal vom Lachen gepackt. Vielleicht wird sie auch rot. Doch das sieht man nicht, weil der Film in schwarz-weiss gehalten ist. Aber man erkennt, dass es sich bei der Bewegung nicht um ein Verlegenheitslachen handelt. Auch nicht ein Weglachen des Unangenehmen. Sondern was da bei Marie-Thérèse Chappaz aufbricht, ist ein Lachen der Erleichterung: Jetzt ist es heraus! Ich brauche mich nicht zu schämen. Ich bin so.

 

Die gleiche Ehrlichkeit prägt auch ihre „Philosophie“. (Bei der Filmaufnahme verwendet Marie-Thérèse Chappaz das Wort nicht, und das macht sie noch einmal sympathisch.) Bei der Weinbereitung („Ich würde diese Arbeit nicht ‚fabriquer le vin‘ nennen“, erklärt sie der Interviewerin, „sondern ‚éduquer le vin‘.“) versucht sie zu spüren, worauf das Pressgut im Prozess seiner Verwandlung hinstrebt. „Diesen Willen gilt es zu respektieren“, erklärt sie. „Wie bei einem Kind geht es darum, dass es seine Eigenart entwickeln kann. Dafür dürfen wir ihm nicht unsere Vorstellungen aufzwingen. Natürlich müssen wir verhindern, dass es auf die Strasse rennt. Aber wir dürfen ihm nicht die Haare schneiden, ohne zu fragen, ob ihm das recht sei.“

 

Der Respekt vor der Eigenart prägt auch die „Philosophie“ des bio-dynamischen Landbaus. Dabei geht es, kurz gesagt, um Bescheidenheit und Toleranz gegenüber den andern Wesen. (Hinter Rudolf Steiner sieht der Gelehrte Jean-Jacques Rousseau mit seinem „Émile“ hervorblicken.) „Immer wieder muss ich mir beim Keltern Mühe geben wegzulernen“, erklärt Marie-Thérèse Chappaz und verwendet dafür den Ausdruck „désapprendre“.

 

Wichtig für sie ist der direkte Kontakt mit der Sache. Darum hat Marie-Thérèse Chappaz die Arbeit der Maschinen ersetzt durch die Arbeit der Hände. Und im Rebberg bewegen sich nicht mehr Traktoren, sondern Pferde: Erstens machen sie keinen Lärm, und zweitens stehen damit Lebewesen mit Lebewesen im Austausch.

 

40’000 Flaschen pro Jahr zieht Marie-Thérèse Chappaz aus ihrem Weingut. Sie tragen das Knospe- und das Demeter-Label. Wer nicht zur Stammkund­schaft gehört, soll schwer an sie herankommen. Aber träumen darf man.

 

1730 Views
Kommentare
()
Einen neuen Kommentar hinzufügenEine neue Antwort hinzufügen
Ich stimme zu, dass meine Angaben gespeichert und verarbeitet werden dürfen.*
Abbrechen
Antwort abschicken
Kommentar abschicken
Weitere laden
Dialog mit Abwesenden / Réponses aux Plans Fixes 0