Henri Destraz alias Henri Dès: Ein Leben in Liedern.

14. Dezember 1940 –

 

Aufgenommen am 19. Januar 2011 in Lonay.

Henri Destraz – Association Plans Fixes

 

> Henri Destraz ist zum Zeitpunkt der Aufnahme siebzig. Über viele, viele Jahre hat ihn der Weg nach oben geführt. Heute ist sein Künstlername Henri Dès drei Generationen geläufig. Dreissig Schulen, Kindertagesstätten und Freizeit-Einrichtungen sind nach ihm benannt. Für die meisten Lieder erhielt er die goldene Schallplatte; für ein Album gar die diamantene. Nun hat Covid seine Aktivität gebremst. Aber „sobald Kultur wieder möglich ist“, wie wir heute sagen, wird Henri Dès das für Dezember letzten Jahres vorgesehene Programm „En solo“ im Casino de Paris nachholen. Mit achtzig. <

 

„Na, wie geht es?“, fragte eine alte Ente, die kam, um Visite zu machen. „Es dauert so lange mit dem einen Ei!“, sagte die Ente, die lag, „es will nicht platzen!“

 

Henri Destraz machte den Eltern keine Freude. Die Schulleistungen waren mehr als mässig. Am Schluss verliess er den Unterricht ohne Abgangs­zeugnis. Die Mutter führte einen Coiffeursalon. Wenn sie von den Kundinnen gefragt wurde: „Und jetzt, was wird aus ihm?“, musste sie stets antworten: „Ich weiss es nicht.“

 

„Lass mich das Ei sehen, das nicht platzen will!“, sagte die Alte. „Glaube mir, das ist ein Truthennenei! So bin ich auch einmal zum Narren gehalten worden, und hatte meinen Kummer und meine Not mit diesen Jungen; denn sie haben Angst vor dem Wasser, will ich dir sagen! Ich konnte sie nicht mit hinausbekommen! Ich rappte und schnappte, aber es half nicht!“

 

An der Rue de Bourg wie der Salon der Mutter führte der Vater in Lausanne eine Fusspflegepraxis. Im Gegensatz zur fröhlichen Frau wirkte der Gatte aber gedrückt. „Wahrscheinlich“, vermutet Henri Destraz, „wäre er gern Arzt geworden. Aber dazu hatten die Mittel nicht gereicht. Darum musste er sich mit einer paramedizinischen Tätigkeit abfinden.“ Jetzt vermittelte der Vater dem missratenen Henri eine Bauzeichnerlehre. Doch der Sohn verliess auch diese Ausbildung ohne Abschluss.

 

„Lass mich das Ei sehen! Ja, das ist ein Truthennenei! Lass es liegen und lehre lieber die anderen Kinder schwimmen!“

 

Nun ging Henri mit Seife von Tür zu Tür. Dann verdiente er Geld mit dem Abwracken von Lastwagen.

 

„Ich will doch noch ein wenig draufliegen!“, sagte die Ente; „habe ich nun so lange gelegen, so kann ich auch noch einige Tage länger liegen!“ „Bitte schön!“, sagte die alte Ente, und dann ging sie.

 

Henri erstand eine Gitarre. Im Unterschied zum Klavierspiel, das er nach wenigen Versuchen abgebrochen hatte, brauchte er bei diesem Instrument nur über die Saiten zu fahren und ein, zwei Griffe zu kennen, um einen annehmbaren Klang hervorzubringen.

 

Endlich platzte das grosse Ei.

 

Nun wurde das Chanson Henris Leidenschaft. Von den Kollegen lernte ein paar weitere Griffe. Dann wagte er sich auf die Bühne, „das heisst eigentlich eine Estrade“. An der Rue de Bourg fand ein Talentwettbewerb statt. Henri wurde vorletzter. „Der letzte erhielt einen Preis. Ich nicht.“ Immerhin, sein Vater hatte ihn auftreten sehen: „Er blickte vom Gang durch die Tür. Ich erkannte ihn an seiner Mütze.“ Wenig später starb er. Henri war 17.

 

„Piep! piep!“, sagte das Junge und fiel heraus; es war so gross und hässlich.

 

Die nächste Chance bietet sich beim Westschweizer Radio in der Sendung „Coup d’essay“. Für sie wird der 22-jährige gecoacht. Er lernt das Auftreten. Und am Ende wird er von Radio Suisse Romande engagiert – als Hilfsoperateur. Er darf Mikrofonständer aufstellen und Tonbänder rekuperieren.

 

Die Ente sah es an: „Das ist doch ein schrecklich grosses Entlein das!“, sagte sie; „keins von den andern sieht so aus!“

 

Henri arbeitet gern im Studio. Es hat viele schöne junge Frauen. Henri braucht sich nicht um sie zu bemühen. Sie fliegen auf ihn. Eine Mitarbeiterin, Mary-Josée Chastellain, ein Jahr jünger als er, erkundigt sich bei einer Freundin nach seinem Namen und fädelt ein Rendezvous ein.

 

„Na, dahinter werden wir bald kommen! Ins Wasser muss es, und wenn ich es selbst hinausstossen muss!“

 

Zwei Jahre später schliessen Mary-Josée und Henri den Bund der Ehe und ziehen nach Paris. Die Wohnung liegt an der Strasse zu den Renault-Werken. Sie misst neun Quadratmeter. Doch Henris Ziel ist klar: Sänger werden und davon leben. Mary-Josée unterstützt ihn.

 

Das Wasser schlug ihnen über dem Kopf zusammen; aber sie kamen gleich wieder empor und schwammen so schön; die Beine gingen von selbst, auch das hässliche, graue Junge schwamm mit. „Nein, es ist kein Truthahn!“, sagte die Ente; „schau, wie schön es die Beine gebraucht, wie rank es sich hält! Im Grunde ist es doch ganz hübsch, wenn man es richtig anschaut!“

 

An der Rive Gauche erzielt Henri Dès auf den Restaurantterrassen und in den kleinen Cabarets erste Einkünfte: 27 Franken pro Monat. Später 60. Der Versuch jedoch, sich anderen Künstlern zu nähern, findet kein Echo.

 

Die anderen Enten ringsum sagten ganz laut: „Pfui! wie das eine Entlein aussieht! Das wollen wir nicht dulden!“

 

1970 kommt Pierrick zur Welt. Der Junge entwickelt sich prächtig. Für den Dreijährigen beginnt Henri Dès, Lieder zu komponieren. Sie kommen so gut an, dass sich der Chansonnier ermutigt sieht, mit Liedern für Kinder an die Öffentlichkeit zu treten.

 

„Es ist nicht hübsch“, sagte die Entleinmutter, „aber es hat ein herzlich gutes Gemüt und schwimmt so schön wie irgend eins der anderen, ja, ich darf sagen, noch etwas besser! Ich denke, es wird sich schönwachsen.“

 

Mit 37 gibt Henri Dès ein erstes Album für Kinder heraus: „Cache-Cache“. Es folgen 36 weitere. Sein Name füllt die Säle. Zwischen 1986 und 2013 tritt er allein im Olympia 94 mal auf. Die Besucher summen seine Lieder mit.

 

Einige kleine Kinder kamen in den Garten, sie warfen Brot und Korn ins Wasser hinaus, und das kleinste rief: „Da ist ja ein neuer Schwan!“, und die anderen Kinder jubelten mit: „Ja, es ist ein neuer gekommen!“, und sie klatschten in die Hände und tanzten umher, und alle sagten sie: „Der neue ist der schönste, so jung und so prächtig!“, und die alten Schwäne verneigten sich vor ihm. 

 

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