Nicolas Bouvier: Reiseschriftsteller.

6. März 1929 –17. Februar 1998.

 

Aufgenommen am 5. März 1996 in Carouge.

http://www.plansfixes.ch/films/nicolas-bouvier/

 

> «Die Erfahrung der Welt» (L’usage du monde) erzählt vom ersten Teil einer Fahrt von Belgrad nach Kabul mit einem Fiat Toppolino. – Acht Verleger lehnten das Manuskript ab. 1963 brachte es Nicolas Bouvier auf eigene Kosten heraus. Einmal gedruckt, brauchte das Buch dreissig Jahre, um Leser zu finden. Danach schwoll sein Ruhm unablässig an. Es wurde zum Klassiker der modernen Reiseliteratur. 2018 kam es in Frankreich auf die Lektüreliste für die Kandidaten des höheren Lehramts (aggrégation de lettres). <

Eben spricht Schweizer Radio und Fernsehen SRF auf seinen Plattformen über das neueste Buch von Mouhanad Khorchide: «Gottes falsche Anwälte – Der Verrat am Islam». Der Reformtheologe beschreibt, wie aus einer Religion der Barmherzigkeit eine Religion der Unterdrückung geworden sei. Die Geschichte reicht weit zurück. Schon 1953/54, als Nicolas Bouvier mit seinem Fiat Toppolino im Iran unterwegs war, konnte er vernehmen: «Der Islam hier, der wirkliche ... damit ist es vorbei ... nichts als Fanatismus, Hysterie, Leid. Die Gläubigen folgen nur noch ihren schwarzen Fahnen, schreien, plündern ein paar Läden oder verstümmeln sich selbst in ihren Ekstasen am Todestag der Imame ... Da bleibt nicht mehr viel Ethik übrig; was die Lehre betrifft, reden wir nicht davon! Ich habe hier einige echte Muslime gekannt, einige sehr bemerkenswerte Leute ... Aber die sind alle tot oder verschwunden. Nun ... der Fanatismus ist die letzte Revolte des armen Mannes, die einzige, die man ihm nicht zu verweigern wagt. Sie bringt ihn dazu, am Sonntag zu schreien, aber unter der Woche hält er sich still, und es gibt Leute, die sich damit arrangieren. Vieles wäre besser, wenn es weniger leere Bäuche gäbe.»

 

Religion als Opium für das Volk – Sigmund Freud nimmt den Gedanken auf: «Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu schwer für uns, es bringt uns zu viel Schmerzen, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben. Um es zu ertragen, können wir Linderungsmittel nicht entbehren. (Es geht nicht ohne Hilfskonstruktionen, hat uns Theodor Fontane gesagt.) Solcher Mittel gibt es vielleicht dreierlei: mächtige Ablenkungen, die uns unser Elend geringschätzen lassen, Ersatzbefriedigungen, die es verringern, Rauschstoffe, die uns für dasselbe unempfindlich machen. Irgend etwas dieser Art ist unerlässlich. Auf die Ablenkungen zielt Voltaire, wenn er seinen ‹Candide› in den Rat ausklingen lässt, seinen Garten zu bearbeiten; solch eine Ablenkung ist auch die wissenschaftliche Tätigkeit. Die Ersatzbefriedigungen, wie die Kunst sie bietet, sind gegen die Realität Illusionen, darum nicht minder psychisch wirksam dank der Rolle, die die Phantasie im Seelenleben behauptet hat. Die Rauschmittel beeinflussen unser Körperliches, ändern seinen Chemismus. Es ist nicht einfach, die Stellung der Religion innerhalb dieser Reihe anzugeben. Wir werden weiter ausholen müssen …»

 

Die Stellung der Religion und die Vielfalt der Formen, zu denen die Menschen greifen, um sich mit dem Leben zu arrangieren, bringt das Reisen vor Augen. Durch die Ortsveränderung lernen wir, «eine Sache neu anzusehen, nicht durch das Medium der Mode, oder mit Rücksicht auf unser Modesystem». Damit wird der Geist erweitert. Voraussetzung ist allerdings, wie Nicolas Bouvier zeigt, dass wir in der Fremde zum Fremden kommen. Das wird heute immer schwieriger. Dazu bemerkte der hellsichtige Lichtenberg um 1775: «Wenn es einmal in der Welt keine Wilden und keine Barbaren mehr gibt, so ist es um uns geschehen.»

 

Solche Gedanken löst das Gespräch in den «Plans Fixes» kaum aus. Denn an Gedanken ist der Interviewer Bertil Galland nicht interessiert. Aus diesem Grund bringt er jedesmal ein neues Thema auf, wenn Nicolas Bouvier in Fahrt gerät und mit seiner Rede auf etwas zuzulaufen beginnt. Jetzt – jetzt – käme das Neue. Aber Galland will, dass über Altbekanntes gesprochen wird. Naiv wie ein Inspektor am Schulexamen tippt er trocken die Themen an, die in Bouviers Büchern stehen: «Und jetzt erzähl uns doch noch, wie es in Ceylon war! Und wie in Los Angeles! Und, und, und ...» 

 

So zeigt der Film am Ende bloss, wie Nicolas Bouvier war, nicht aber, wer er war. Man begegnet, zwei Jahre vor seinem Krebstod, einem unabhängigen, klaren Geist mit überragendem Sinn fürs Wesentliche und gesegnet mit der Gabe des Humors und der Beredsamkeit. Wer mehr von ihm erfahren möchte, muss zu seinen Büchern greifen. Sie finden sich in allen grossen Sprachen.

 

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