François Daulte: Im Dienst der Kunst.

26.  Juni 1924 – 18. April 1998.

 

Aufgenommen am 24. April 1995 in Lausanne.

François Daulte – Association Plans Fixes

 

> Drei Eigenschaften brachten François Daulte an die Spitze: Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Kompetenz. Mit ihnen empfahl er sich den grossen Kunstsammlern, und sie öffneten ihm ihre Schätze. Er durfte sie in die Hand nehmen, untersuchen, betrachten, beschreiben – für seine grossen Werkkataloge. Und er durfte sie ausleihen – für seine grossen Ausstellungen. <

 

Zur grössten Ausstellung, die François Daulte realisiert hat, reiste der französische Ministerpräsident an, inkognito und unangemeldet, begleitet lediglich von Kulturminister André Maurois. Eingeflogen hatte die beiden Baron Rothschild mit seinem Privatflugzeug. Nun betrachtete Georges Pompidou die Werke intensiv, um am Ende zu beschliessen: „Das müssen wir in Paris auch zeigen!“ Drei Jahre später hingen die Bilder in der Orangerie. Die berühmte Ausstellung hiess „De Manet à Picasso“.

 

François Daulte war noch keine vierzig Jahre alt gewesen, als er vom Bundesrat mandatiert worden war, für die Landesausstellung 1964 in Lausanne (Expo) die Kunstschätze aus Schweizer Privatbesitz zu zeigen. Nun suchte der promovierte Kunsthistoriker zwei Jahre lang an zwei Tagen pro Woche mit der Bahn (!) die Eigentümer auf, um ihnen das Ausstellungs­konzept zu erklären und sie zur Freigabe der Objekte zu motivieren. Dabei kamen François Daulte drei Kardinaleigenschaften zustatten, die er vom protestantischen Elternhaus mitbrachte: Bescheidenheit, Ehrlichkeit und Kompetenz. Sie öffneten ihm die Häuser, die Herzen und die Sammlungen.

 

Damals nämlich – es ist jetzt sechzig Jahre her – waren die Kunstsammler noch Liebhaber. Sie erwarben Bilder nicht zum Zweck der Investition, sondern zum Zweck der Betrachtung, des Studiums und des ästhetischen Wohlgefallens. Es machte ihnen Freude, sich mit andern Menschen über die Werke auszutauschen.

 

Familienmitglieder und Hausangestellte wurden zu Kenntnis und Verehrung der Gemälde erzogen. François Daulte zitiert das Beispiel von Dr. Hahnloser in Winterthur. An seiner Haustür meldete sich ein Berliner Kunstgeschichtler. Doch war niemand da, um ihn durch die Räume zu führen, als eine alte Bedienerin, und der Gelehrte musste sich mit ihr zufriedengeben. Aber beim Rundgang erklärte sie Wert und Eigentümlichkeit der einzelnen Objekte derart kenntnisreich, dass der Professor am Ende ausrief: „Wenn ich in Berlin zurück bin, werde ich dafür sorgen, dass Ihnen meine Universität den Ehrendoktortitel verleiht!“

 

Ähnliches hat François Daulte erlebt. Er ging noch nicht zur Schule, als ihn die Mutter schon zur Kunst führte: Sie erklärte ihm die blauen Bilder auf den Kacheln des Wohnzimmerofens, auf denen die Fabeln von La Fontaine abgebildet waren. Bei der Gelegenheit lernte er:

 

Maître Corbeau, sur un arbre perché,

Tenait en son bec un fromage.

Maître Renard, par l’odeur alléché,

Lui tint à peu près ce langage :

« Hé ! Bonjour monsieur du Corbeau.

Que vous êtes joli ! que vous me semblez beau ! »

 

Wenn François bei der französischen Grossmutter in den Ferien war, führte sie ihn jeden Sonntag ins Kunstmuseum von Montpellier. Sie gingen zuerst durch die alten Gemälde, dann blieben sie vor Courbet und Bazille stehen.

 

Das Bild von Gustave Courbet zeigt die Ankunft des Malers vor den Mauern von Paris. Ein Mäzen begrüsst ihn beim Verlassen der Postkutsche. Die Szene trägt den inoffiziellen Titel: „Der Reichtum verbeugt sich vor dem Genie.“

 

Bei Frédéric Bazille (Wegbereiter des Impressionismus, Freund Courbets, im Alter von 29 Jahren im deutsch-französischen Krieg gefallen) geht François Daulte zum ersten Mal die Veränderung der Farben durch den Kontext auf. Er beschliesst, sich in den Dienst dieses Malers zu stellen. Nach dem Doktorat in Geschichte an der Universität Lausanne und dem Diplom an der Ecole du Louvre in Paris veröffentlicht er als erstes einen Werkkatalog zu Bazille.

 

Dann folgen die Kataloge zu Sisley und Renoir. Zur Stunde bietet das Antiquariat Jürgen Fetzer in Wien den Renoir-Katalog an:

 

Erste Ausgabe. Num. Exemplar. Unverzichtbares Standardwerk. Mit einer Bibliographie, einem biographischen Verzeichnis der identifizierten Modelle und einem Register. Bis jetzt kein weiterer Band erschienen. Sprache: Französisch. Gewicht in Gramm: 3500. 4°. 429 S.

 

Preis: 1850 €. Versand in die Schweiz: 40 €.

 

In der Unterhaltung mit Bertil Galland erklärt der 71-jährige, der auf zweihundert Ausstellungen (davon 54 in Japan) zurückblicken kann, er habe sich als Direktor der Fondation de l’Hermitage Lausanne vorzeitig pensionieren lassen, um den Renoir-Katalog fertigzustellen. Er hoffe, dass ihm dazu die Zeit bleibe. Der Maler habe über viertausend Gemälde hinterlassen. Doch zum erhofften Abschluss kommt es nicht. François Daulte stirbt im Alter von 73 Jahren.

 

Und trotzdem hat François, Sohn des Lausanner Theologieprofessors Philippe Daulte und der Alice geb. Mourgue-Molines, seine Lebensaufgabe erfüllt – im Sinn von Goethes Aufsatzsammlung „Der Sammler und die Seinigen“:

 

„Sie sind denn also auch den hergebrachten Grundsätzen getreu, dass Schönheit das letzte Ziel der Kunst sei?“

„Mir ist kein höheres bekannt“, versetzte ich darauf.

„Können Sie mir sagen, was Schönheit sei?“, rief er aus.

„Vielleicht nicht!“, versetzte ich, „aber ich kann es Ihnen zeigen.“ 

 

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