Jenny Humbert-Droz: Politaktivistin.

27. August 1892 – 4. Januar 2000.

 

Aufgenommen am 28. August 1978 in La Chaux-de-Fonds.

Jenny Humbert-Droz – Association Plans Fixes

 

> Die Aufnahme entstand vor 43 Jahren. Jenny Humbert-Droz war 86. Danach hatte sie noch gute 21 Jahre zu leben. Wenn wir ihr heute im Film der „Plans Fixes“ begegnen, führt sie uns in die Tiefe der Zeit, in Verhältnisse, die fernab von uns liegen – unter anderem ins Zentralkomitee der kommuni­stischen Partei, an den Verhandlungstisch von Lenin, Trotzki und Stalin. <

 

Eine gute Stube in La Chaux-de-Fonds. Bürgerliches Mobiliar. Ein Ohrenstuhl mit gemustertem Stoff. Am Kopfende eine Schondecke. Die Armlehnen leicht abgewetzt, wohl auch etwas fettig. An der Wand verschiedene Objekte, die sich im Lauf der Jahre angesammelt haben: Nippsachen ohne Wert. Ein Landschaftsbild, in dessen Rahmen das Schwarzweiss-Foto eines Familienmitglieds eingesteckt wurde. Eine Schreibmaschine der Marke Adler. Ein grosser Langenscheidt.

 

In diesem bourgeoisen Interieur haben die beiden prominentesten Kommunisten der Schweiz, Jules Humbert-Droz (1891-1971) und seine Frau Jenny (1892-2000) das Alter verbracht. Sie wurde zur Sachwalterin der Hinterlassenschaft ihres Mannes. Für die Zeitzeugin, die das Leben an seiner Seite verbracht hat und nach seinem Tod den vierten Band seiner Lebenserinnerungen zuende schrieb, vermengen sich jetzt in der Erzählung die Dinge, die ihr, dem Mann und dem Paar zugestossen sind, zur Einheit.

 

Als ob sie dabei gewesen wäre, berichtet sie, wie Stalin an einer Sitzung so heftig ihren Mann anschrie: „Dann geh zum Teufel!“, dass die Sekretärin das Protokoll nicht mehr weiterschreiben konnte. Die beiden stritten über die Führung der kommunistischen Bewegung. Stalin verlangte die Vorherrschaft der russischen Partei. Jules Humbert-Droz, von Lenin eingesetzter Sekretär des Komintern für die romanischsprachigen Länder von Westeuropa und Südamerika, verteidigte die Autonomie der Länderparteien. Alte Geschichten; aber mit einer Heftigkeit ausgetragen, die uns heute urtümlich anmutet.

 

Doch vielleicht ist dieses Urteil einer weichen humanistischen Optik geschuldet:

 

Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist, oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz –

 

Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit, und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte, und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: Vater gib! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!

 

Gotthold Ephraim Lessing: Verteidigung eines Ungenannten.

 

Stur und ideologisch ging es damals nicht nur im Komintern zu, sondern auch in der kommunistischen Partei der Schweiz, die Jules Humbert-Droz 1921 gründen half und deren Präsident er wurde, von der Rückkehr aus Moskau in den 1930er Jahren bis 1942 zum Ausschluss auf Betreiben Stalins. Die Frau an seiner Seite arbeitete derweil als Übersetzerin und Redaktorin des kommunistischen Depeschendiensts. Von 1947 bis 1959 fand Jules Humbert-Droz bei der sozialdemokratischen Partei der Schweiz Unterschlupf als Generalsekretär. Danach wirkte er noch sechs Jahre als Sekretär der Neuenburger Kantonalpartei.

 

Für den Kampf gegen Bourgeoisie und Kapitalismus wurden Unterordnung und Disziplin verlangt. Nur mit Linientreue sei die Befreiung von Proletariat und Arbeiterschaft möglich. Das konnten Jules und Jenny nachvollziehen. Als Idealisten lag ihnen Opferbereitschaft im Blut. Jules, ordinierter protestan­tischer Pfarrer, hatte im Ersten Weltkrieg als Dienstverweigerer für seine Überzeugung mit Gefängnis gebüsst.

 

Jenny stammte aus einer kinderreichen Pfarrerfamilie, bei der man ebenfalls wusste, „wo Gott hocket“, wie die Berner sagen. Sie kam, nach einer erstgeborenen Schwester, als zweites Kind zur Welt. Vermutlich durch Hausgeburt. Zu Fuss machte sich der Vater auf, bei der Gemeinde das Ereignis anzuzeigen. Aber er wusste keinen Namen für das Kind. Er hatte sich, zusammen mit seiner Frau Rose Anna geb. Jeanneret-Grosjean, so sehr einen männlichen Nachkommen gewünscht, dass es die beiden versäumt hatten, an einen weiblichen Vornamen zu denken.

 

In der Verlegenheit sprach er ein kleines Mädchen an, das ihm auf dem Weg entgegen kam: „Wie heisst du?“ „Jenny.“ „Ein schöner Name.“ Und so wurde das zweite von acht Kindern mit diesem Namen ins Geburtsregister eingetragen. Das war zur Zeit, als im Zivilgesetzbuch stand: „Der Mann ist das Oberhaupt der Familie.“

 

So verhielten sich die Dinge in der Tiefe der Jahre, in Verhältnissen, die fernab von uns liegen. Am Hindukusch aber träumen die Bärtigen heute noch von ihnen.

 

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