Patrick Chappatte: Eine Zeichnung, um die Welt zu erzählen.

22. Februar 1967 –

 

Aufgenommen am 11. Januar 2017 in Genf.

Patrick Chappatte – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Er ist einer der jüngsten, die es in die „Plans Fixes“ geschafft haben. Sonst besucht die Filmsammlung Persönlichkeiten zwischen siebzig und neunzig, die am Ende ihres Wegs eine umfangreiche, gewichtige Lebensleistung vorzuweisen haben. Doch jetzt spricht ein freundlicher, junger, wohlerzo­gener Mann allürenfrei in die Kamera, man schätzt ihn auf 24 – und dabei kann der Bursch schon auf eine Berufserfahrung von dreissig Jahren blicken. Frisch wie am ersten Tag beliefert der jünglingshafte Fünfziger die grossen Titel des Globus mit Karikaturen („Der Spiegel“, „Le Canard enchaîné“, „Neue Zürcher Zeitung“, „Le Temps“, „New York Times“), und seit Jahrzehnten ist er eine Marke: Patrick Chappatte. <

 

Einer der grössten Autographensammler, den die Welt je kannte – und auch der mit dem berühmtesten Namen –, war der Schriftsteller Stefan Zweig:

 

Es war für mich eine Lust, die Blätter von allen grossen Dichtern, Philosophen und Musikern zusammenzujagen auf Auktionen, eine gern getane Mühe, sie aufzuspüren an den verstecktesten Stellen, und zugleich eine Art Wissenschaft, denn allgemach war neben meiner Sammlung von Autographen eine zweite entstanden, die sämtliche Bücher, die über Autographen geschrieben worden sind, umfasste, sämtliche Kataloge, die je gedruckt worden sind, über viertausend an der Zahl, eine Handbibliothek ohnegleichen und ohne einen einzigen Rivalen, weil selbst die Händler nicht so viel Zeit und Liebe an ein Spezialfach wenden konnten. Ich darf wohl sagen – was ich nie im Hinblick auf Literatur oder ein anderes Gebiet des Lebens auszusprechen wagen würde –, dass ich in diesen dreissig oder vierzig Jahren des Sammelns eine erste Autorität auf dem Gebiete der Handschriften geworden war und von jedem bedeutenden Blatte wusste, wo es lag, wem es gehörte und wie es zu seinem Besitzer gewandert war, ein wirklicher Kenner also, der Echtheit auf den ersten Blick bestimmen konnte und in der Bewertung erfahrener als die meisten Professionellen war.

 

Handschriften sind kostbar. Schon Goethe hat ihren „unsterblichen Wert“ erkannt und in einem Brief erklärt:

 

Da mir die sinnliche Anschauung durchaus unentbehrlich ist, so werden mir vorzügliche Menschen durch ihre Handschrift auf eine magische Weise gegenwärtig. Solche Dokumente ihres Daseins sind mir, wo nicht ebenso lieb wie ein Porträt, so doch gewiss ein wünschenswertes Supplement und Surrogat desselben.

 

Stefan Zweig aber faszinierte noch etwas anderes:

 

Der wahre Autographensammler will in das Wesen des schaffenden Menschen eindringen, und zwar in jenen geheimnisvollsten Augenblick aller Augenblicke, den der Schöpfung. – Von den unzähligen unlösbaren Rätseln der Welt bleibt das tiefste und geheimnisvollste doch das Geheimnis der Schöpfung. Hier lässt sich die Natur nicht belauschen, niemals wird sie diesen letzten Kunstgriff sich absehen lassen, wie die Erde entstand und wie eine kleine Blume entsteht, wie ein Gedicht und wie ein Mensch. Hier zieht sie unbarmherzig und unnachgiebig ihren Schleier vor. Selbst der Dichter, selbst der Musiker wird nachträglich den Augenblick seiner Inspiration nicht mehr erläutern können. Ist einmal die Schöpfung vollendet gestaltet, so weiss der Künstler von ihrem Ursprung nicht mehr und nicht von ihrem Wachsen und Werden. Nie oder fast nie vermag er zu erklären, wie in seinen erhobenen Sinnen die Worte sich zu einer Strophe, wie aus einzelnen Tönen Melodien sich zusammenfügten, die dann durch die Jahrhunderte klingen.

 

Gleich verhält es sich bei der Schauspielkunst. Konstantin Stanislawski (Anton Tschechows Uraufführungsregisseur am Moskauer Künstlertheater) erklärte:

 

Fragen Sie nach einer grossen Vorstellung den Schauspieler, was er auf der Bühne empfunden und was er gemacht habe. Er wird Ihnen nicht antworten können, denn das, was er lebte, war ihm nicht bewusst, und er ist nicht einmal in der Lage, sich an die wichtigsten Stellen zu erinnern. Alles, was Sie von ihm erfahren werden, ist, dass er sich auf der Bühne wohl fühlte und dass er in perfektem Kontakt mit den Mitspielern stand. Daneben wird er nicht in der Lage sein, Ihnen mehr zu sagen.

 

Der Karikaturist hat über „das Geheimnis der Schöpfung“ ebenfalls nicht mehr zu sagen als der Mann von der Strasse über das Einschlafen. Er fasst den Vorsatz, er bereitet sich vor, legt sich und die Objekte zurecht, und aufs Mal ist er „drin“ oder„drüben“, ohne dass er „mehr zu sagen“ wüsste.

 

> Martial Leiter, der in Lausanne arbeitende Karikaturist von „Le Monde“, „Le Monde diplomatique“, „Le Temps“, „Le Courrier de Genève“, „Tages Anzeiger“, „Die Zeit“ und „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ murmelt ergeben: „Intuition“, und zuckt mit der Schulter.

 

> Dasselbe Wort braucht der in Lausanne lebende Zeichner von „Le Matin du dimanche“, > Paul Perret, alias André Paul, um die Entstehung seiner Karikaturen zu erklären. Und er stellt fest: „Die erste Idee ist meistens die beste.“

 

Ohne dass er sich mit den andern abgesprochen hätte, sagt nun Patrick Chappatte, der Junior, bei der Aufnahme für die „Plans Fixes“ das Gleiche: „Die Idee kommt intuitiv. Entweder aus einem Wort- oder Bildeinfall. Und meistens ist die erste die beste.“

 

Bereitwillig erzählt er, wie er als Gymnasiast anfing, Karikaturen bei der Genfer Tageszeitung „La Suisse“ einzureichen, um den Vater zu beeindrucken, wie er dann vor der Matur das Angebot erhielt, sich zum Journalisten ausbilden zu lassen, wie er es dann in die „International Herald Tribune“ schaffte („Ich erkläre Ihnen in fünf Minuten, warum Sie in Ihrer Zeitung Karikaturen brauchen.“ Darauf: „Ihre Argumente sind gut. Wir wollen’s versuchen.“), und wie er durch die Einstellung des Titels nach oben rutschte in die Kommentarseite der „New York Times“.

 

Aber was „das Geheimnis der Schöpfung“ angeht – dazu hat Chappatte nicht mehr zu sagen als Goethe:

 

Jede Erfindung, jeder grosse Gedanke, der Früchte bringt und Folge hat, steht in niemandes Gewalt und ist über aller irdischen Macht erhaben. Dergleichen hat der Mensch als unverhoffte Geschenke von oben, als reine Kinder Gottes zu betrachten.

 

Immerhin, Georg Christoph Lichtenberg, der helle Kopf mit den meisten Ideen (er brachte es allein in seinen „Sudelbüchern“ auf 13’600 Einfälle) verriet, worauf es ankommt:

 

Es klingt lächerlich, aber es ist wahr: wenn man etwas Gutes schreiben will, so muss man eine gute Feder haben, hauptsächlich eine, die, ohne dass man viel drückt, leicht wegschreibt.

 

Theorie und Praxis.

 

Those who can, do. Those who can’t, talk a lot about it.

 

(Peter Ustinov)

 

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