Alice Pauli: Galeristin. Liebesgeschichten.

13. Januar 1922 – 15. Juli 2022.

 

Aufgenommen am 8. Mai 2000 in Epalinges.

Alice Pauli – Association Films Plans-Fixes

 

> Fadengerade erzählt Alice Pauli den Lauf ihres Lebens: Jugend in Moutier. Kaufmännische Lehre. Berufstätigkeit in der Uhrenindustrie. Begegnung mit dem Mann ihres Lebens und gemeinsamer Übertritt in die Kunstvermittlung in Lausanne durch die Organisation einer Ausstellung, die Schaffung einer Kunstbiennale und die Eröffnung einer Galerie. Dabei verrät Alice Paulis Satzbau, dass sie den Text für die Aufnahme in die „Plans Fixes“ (und damit für die Ewigkeit) zuerst geschrieben und dann auswendig gelernt hat. <

 

Vor einem Monat ging im Kunstmuseum des Kantons Waadt die Ausstellung „Alice Pauli. Galeristin, Sammlerin und Mäzenin“ zuende. Aber bis zum 31. August läuft noch „Alice Pauli und die Druckgrafik“:

 

Die Ausstellung vereint fünfzehn Künstlerinnen und Künstler, deren Werke an den Wänden ihrer Galerie zu sehen waren: Sam Francis, Robert Motherwell, David Hockney etc.

 

Getragen von ihrer Leidenschaft für zeitgenössische Kunst, veranstaltete Alice Pauli seit der Eröffnung ihrer Galerie im Jahr 1961 regelmässig Ausstellungen von Druckgrafiken. Vervielfältigte Kunst erfreute sich in den 1960er-Jahren erneut zunehmender Beliebtheit. Die Drucke, die in begrenzten Auflagen hergestellt, von den Kunstschaffenden signiert und nummeriert, in Serien oder einzeln abgezogen werden, sind ein Mittel, um bei einem mit der Moderne weniger vertrauten Publikum den Wunsch zu wecken, aktuelle Kunst zu sammeln. Die Druckgrafik bietet den Kunstschaffenden eine weite Verbreitung ihrer Arbeit und der Käuferschaft die Möglichkeit, ein originales Werk zu einem günstigen Preis zu erwerben. Für die Lausanner Galeristin ist sie zudem eine Gelegenheit, berühmte Namen der zeitgenössischen Kunst in ihre Tätigkeit einzubinden.

 

Kupferstiche sind überhaupt das Kunstmittel, durch welches Kenner und Liebhaber sich am meisten und bequemsten unterhalten.

(Johann Wolfgang von Goethe: Tag- und Jahreshefte.)

 

Der Erfolg von Alice Paulis Lebensleistung lässt sich durch das Stichwort „persönlich“ erklären: Persönlicher Kontakt mit den Künstlern, persönliche Gestaltung der Ausstellungen, persönliche Beziehungen zu den Käufern und Sammlern. So wurden es die Künstler und Sammler, die Alice Pauli Halt gaben, als sie von zwei schweren Todesfällen erschüttert wurde: Zuerst vom Verlust ihres Mannes Pierre im Jahr 1970, und dann vom Verlust ihres Sohnes Olivier im Jahr 1994.

 

Die beiden Nächststehenden waren mit der Galerie so verbunden gewesen, dass Alice Pauli beschloss, die Arbeit fortan ihnen zu weihen: Sie zeigte die Kunst, die ihnen gefallen hätte, und für den Park des Wohnhauses schaffte sie jene Skulpturen an, die Olivier gewählt hätte.

 

Wie bei > Louise-Antoinette Lombard, der Gründerin der Genfer Künstler- und Konzertagentur Caecilia, ist auch Alice Paulis Auftreten gezeichnet von Beharrlichkeit, Zuverlässigkeit und Diskretion. Im Film vernimmt man bloss, sie sei im Jura aufgewachsen und habe anfänglich in der Uhrenindustrie gearbeitet. – Im Netz findet man mehr:

 

Alice wächst in Moutier auf, als zweites von vier Kindern der Familie Bucher. Mit 15 Jahren beginnt sie eine kaufmännische Lehre in der Uhrenfirma Louis Schwab und wird dort Büroangestellte. Als das Unternehmen 1943 ein Geschäftslokal in Lausanne eröffnet, überträgt es der 21-Jährigen die Führung. Im Warenangebot steht das Pionierprodukt Radiowecker.

 

Für die Herstellung eines Katalogs arbeitet Alice mit dem jungen Grafiker Pierre Pauli zusammen, der neun Jahre später ihr Mann wird. Als die Grenzen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgehen, bereist Fräulein Bucher für ihre Firma die Vereinigten Staaten, London und Paris. Dort besucht sie auch die Museen und Ausstellungen.

 

Die Liebe zur Kunst veranlasst Alice, im Februar 1953 ihre Stelle zu kündigen, um gemeinsam mit Pierre eine künstlerische und geschäftliche Tätigkeit aufzunehmen. Die beiden beginnen, sich für den Vertrieb des Werks von Jean Lurçat einzusetzen. Dann wird Pierre Leiter des Museums für angewandte Kunst, und Alice Pauli eröffnet im Mai 1961 ihre Galerie.

 

Während im Film vorwiegend Allgemeines zu vernehmen ist (Stellung der Galerien zwischen Museen, Messen und Auktionen, Veränderung und Entwicklung von Sammlern, Publikum und Kunstmarkt), geht das Kunstmuseum Lausanne ins Detail:

 

Am 8. Juni 1965 schreibt Alice Pauli an Julius Bissier und schlägt ihm vor, eine Ausstellung seiner Werke in ihrer Galerie zu veranstalten, doch kommt der Brief fatalerweise nur wenige Tage vor dem Tod des Malers am 18. Juni an. Lisbeth Bissier, die Witwe des Künstlers, antwortet einige Wochen später, eine Zusammenarbeit komme nicht in Frage, da die Galerie Beyeler in Basel die exklusive Vertretung für Bissiers Werk in der Schweiz besitze. Sie schlägt jedoch Alice Pauli vor, sich mit ihr in Ascona zu treffen, wo der Künstler seit 1961 ansässig war. Dank ihres Verhandlungsgeschicks gelingt es der Galeristin, die Genehmigung für die Ausstellung von Bissiers Tapisserien zu erhalten.

 

So trägt Alice Paulis Überzeugungskraft schliesslich den Sieg davon, und 1970 erhält sie zudem das Recht, Bissier in der Schweiz zu vertreten. Der Maler wird sogar rasch zu einem der wichtigsten Künstler der Galerie.

 

Der Erfolg ist so gross, dass Lisbeth Bissier nicht zögert, der Galeristin den Verkauf zahlreicher Werke aus dem Nachlass anzuvertrauen. So stellt diese bis 2015 immer wieder (mehr als sechzigmal!) Tempera-und Ölgemälde sowie Tuschezeichnungen Bissiers aus.

 

Bei Betrachtung der Kunstwerke eine hohe, unerreichbare Idee immer im Sinne zu haben, bei Beurteilung dessen, was der Künstler geleistet hat, den grossen Massstab anzuschlagen, der nach dem Besten, was wir kennen, eingeteilt ist, eifrig das Vollkommenste aufzusuchen, den Liebhaber sowie den Künstler immer an die Quelle zu weisen, ihn auf hohe Standpunkte zu versetzen, bei der Geschichte wie bei der Theorie, bei dem Urteil wie in der Praxis immer gleichsam auf ein letztes zu dringen, ist löblich und schön, und eine solche Bemühung kann nicht ohne Nutzen bleiben.

(Johann Wolfgang von Goethe: Der Sammler und die Seinigen.)  

 

Und Alice Pauli in einem Interview aus Anlass ihres hundertsten Geburtstags:

 

Ich bin von Menschen umgeben, die dreissig Jahre jünger sind als ich. Sie amüsieren mich. Menschen in meinem Alter gehen weniger aus. Und vor allem liebe ich diese Neugier der Jugend auf alles. Diese Unersättlichkeit. Keine Neugier mehr zu haben? Das ist einfach tödlich.

 

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