Claude Nobs: Gründer und Leiter des Montreux Jazz Festival.

4. Februar 1936 – 10. Januar 2013.

 

Aufgenommen am 15. März 2011 in Caux.

Claude Nobs – Association Films Plans-Fixes

 

> An diesem Wochenende hat das Montreux Jazz Festival angefangen. Heute Sonntagabend offeriert es zwei kostenpflichtige Konzerte, eines am See (dafür findet sich um 10:00 Uhr noch ein letzter Stehplatz für 320.90 Franken im Netz), und eines im Casino (ausverkauft). Daneben gibt es ein halbes Dutzend Gratisveranstaltungen. Zur letzten kommt man aus der Deutschschweiz noch bequem hin. Sie beginnt erst um 0:30 Uhr. Der 2013 dahingeschiedene Gründer des Erfolgsfestivals ist heute verewigt: Am Ort selbst durch die Avenue Claude Nobs, und in den „Plans Fixes“ durch ein fünfzigminütiges Gespräch. <

 

„Manchmal klappt’s, manchmal nicht“, sagt Claude Nobs philosophisch vor der Kamera. Oft kommt eine Karriere trotz vielversprechenden Talents nicht zustande. Die Götter wissen warum; die Sterblichen nicht. Einen Moment lang stehen die Künstler im Licht, dann landen sie – wie unsereins – im Orkus. 1980 wurde der Schweizer Dirigent Peter Maag nach Auftritten an der Met, den Salzburger Festspielen und dem Glyndebourne Festival in den „Grove Dictionary of Music and Musicians“ aufgenommen: „Most gifted Mozart conductor“ (höchst begabter Mozart-Dirigent). 45 Jahre später erwähnte Radio France Musique am Sonntagmorgen vor drei Wochen noch einmal seinen Namen unter dem Sendetitel „Les chefs oubliés“ (Die vergessenen Dirigenten).

 

Das Glücksrad. Der Kulturmanager und Festivalleiter berichtet von einem Star, der in Montreux mit einer Gage von fünfhundert Dollar angefangen hatte und am Ende pro Auftritt fünfzigtausend verlangen konnte, dazu noch einen schwarzen Ferrari für vier Tage ... „und er war’s wert“, erklärt Claude Nobs. Von diesem Aufstieg träumen die Künstler, die heute Sonntagabend gratis auftreten. Sie fahren, beziehungsweise fliegen, auf eigene Kosten an den Genfersee und hoffen, entdeckt zu werden. Ja, nickt das Solothurner Liedli: „’s isch immer eso gsy, ’s wird immer eso sy.“ „Il faut donner pour recevoir“ (um zu bekommen, muss man geben), erklärt der französische Volksmund. Und der lateinische: „do ut des“.

 

Dass es manchmal klappt und manchmal nicht, hat Claude Nobs bis zum Ende seiner Karriere erfahren. „Bei uns ist alles live. Manchmal sind die Künstler nicht in Form. Dann geht der Abend daneben.“ Der Zeitpunkt spielt eine Rolle. Die alten Griechen nannten den günstigen Augenblick „Kairos“, die Schicksalsstunde. „Wenn ich die Tür zum Bühneneingang aufstosse und den Pförtner begrüsse, spüre ich schon, ob die Vorstellung gelingen wird oder nicht“, sagte der erfahrene Peter Maag 1989 in einem Radiogespräch zu seinem 70. Geburtstag. „Wenn die Zeichen schlecht stehen, kann niemand mehr etwas machen. Der Einsatz aller Beteiligten wird nichts bringen. Der Erfolg wird sich nicht einstellen.“

 

Kairos. In England betrat Claude Nobs einen Keller und lud die Sänger an dem Genfersee ein. Sie hatten nichts dagegen. Doch > Geo Voumard, der Unterhaltungschef des Westschweizer Radios, lehnte ab: „Das gibt einen Flop. Von denen hat noch niemand etwas gehört. Warten wir, bis sie bekannter sind.“ Aus diesem Grund verpasste Montreux die Beatles. Dafür traten die Rolling Stones auf. Aber weil sie niemand kannte, spielten zu niedriger Gage vor halbleeren Reihen. „Aller Anfang ist schwer.“

 

Zuweilen genügt es für den Durchbruch, dass man zur rechten Zeit zwei Tafeln Schokolade bei sich in der Mappe trägt. In New York suchte Claude Nobs die Managerin von Aretha Franklin auf: „Ich möchte sie fürs Montreux Jazz Festival gewinnen.“ „Was zahlen Sie?“ „Fünftausend Dollar.“ „Oh, in der Regel bekommt sie das drei bis vierfache. Aber gut. Lassen Sie mal Ihre Karte da. Wir melden uns.“ „Danke. Aber warten Sie, ich habe hier noch zwei Tafeln Schokolade. Die eine ist für Sie, die andere für Aretha.“ Am nächsten Tag rief die Managerin zurück: „Aretha liebt Schokolade. Sie kommt nach Montreux.“ Manchmal klappt’s.

 

Manchmal nicht: 2015 wäre der 23-jährige US-amerikanische Nachwuchsdirigent Jonathon Hayward bereit gewesen, bei Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS!) als 2. Kapellmeister einzusteigen. Doch die Leitung fand, man wolle zuerst einmal abwarten. Bei Bedarf könne man ihn in zwei, drei Jahren immer noch zu einem Konzert einladen. Hélvetius: „Si quelqu’un excelle parmi nous, qu’il aille exceller ailleurs.“ (Wenn sich jemand bei uns hervortut, soll er gehen und sich anderswo hervortun.) Demzufolge kam Hayward nicht nach Biel/Solothurn, sondern als Assistent von Sir Mark Elder nach Manchester ans Hallé Orchestra, dann an die Nordwestdeutsche Philharmonie als Chefdirigent, und 2023 schliesslich als Chefdirigent ans Baltimore Symphony Orchestra. Daneben wurde der 33-Jährige im Januar 2025 noch Chefdirigent und künstlerischer Leiter des Festival Orchestra of Lincoln Center.

 

Man muss sein Leben aus lauter einzelnen Handlungen zusammensetzen und zufrieden sein, wenn jede – soweit möglich – ihr Ziel erreicht. Dass aber jede Handlung ihr Ziel erreicht, daran kann dich niemand hindern. „Aber es wird sich etwas von aussen in den Weg stellen.“ Nichts kann mich daran hindern, gerecht, besonnen und vernünftig zu handeln. Wird aber nicht vielleicht eine andere Betätigung behindert werden? Dadurch, dass ich mich mit diesem Hindernis abfinde und mich mit gutem Willen dem Machbaren zuwende, wird sofort eine andere Handlung die Stelle der behinderten Tätigkeit einnehmen und sich in den Zusammenhang einfügen, von dem die Rede ist.

 

Unauffällig nehmen, bereitwillig abgeben.

 

(Marc Aurel [121–180]: Wege zu sich selbst.)

 

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