28. September 1938 –
Aufgenommen am 14. Oktober 2024 in Carouge.
Rui Nogueira – Association Films Plans-Fixes
> Der 86-Jährige steht immer noch unter Feuer. Er brennt für den Film. Wie bei einem Vulkan brodelt es in seinem Innen. Rauch steigt auf. Brocken fliegen in die Höhe. Sie tragen die Namen Godard, Fassbinder, Preminger. Rui Nogueira hat zwar keinen einzigen Film gedreht, aber Umgang mit mehreren Dutzend Cineasten genossen. Und bis zum Schluss ist das Kino sein Ding geblieben. <
Es hat sich so ergeben, dass Rui Nogueiras Eltern aus Portugal nach Afrika auswanderten. Dort wurde er eingeschult. Am Gymnasium verliebte er sich in die Frau seines Lebens. Sie war zwölf. Er achtzehn. „Heute problematisch“, konstatiert der 86-Jährige. Um die Angebetete zu heiraten, wartete er vier Jahre. Er überbrückte die Spanne, indem er derart schlechte Leistungen vorlegte, dass er viermal an der Schule sitzenbleiben konnte. „Das war damals möglich“, konstatiert der 86-Jährige.
Nun wanderte das Paar in sein Herkunftsland Portugal zurück. Kaum am Boden, geriet der junge Mann in eine Demonstration gegen den Diktator Salazar. Damit ergab es sich, dass er gleich am ersten Tag seiner Rückkunft für drei Monate ins Gefängnis verfrachtet wurde. „Mein Vergehen hatte darin bestanden, dass ich davongerannt war.“ Wieder in Freiheit, geriet Rui Nogueira erneut in eine Demonstration. Diesmal rannte er nicht weg, doch kam er wieder ins Gefängnis. „Mein Vergehen hatte darin bestanden, dass ich nicht davongerannt war.“ Immerhin brachten ihm die beiden Verhaftungen den Adelstitel eines linken, politisch verfolgten Gegners der Diktatur ein, und mit ihm fand er Aufnahme in Belgien, Frankreich und der Schweiz.
Es ergab sich, dass Rui Nogueira eine zweite Frau kennenlernte. Nach dreissig Jahren heiratete er sie. „Ich wollte sicher sein, dass ich mich nicht täusche“, sagt er augenzwinkernd. „Wir flogen nach Los Angeles zum Geburtstag eines befreundeten Cineasten. Dort stellte ich fest: ‚Las Vegas ist ja ganz in der Nähe! Wollen wir nicht hinüberfahren und heiraten?‘ Am Flughafen erkundigte ich mich, wie ich vorgehen müsse. ‚Es ist ganz einfach‘, vernahm ich. ‚Die einzige Bedingung ist, dass Sie eine Frau haben.‘ Die Eheschliessung ging im Nu und kostete nur eine Kleinigkeit. Meine Frau war damals schon krank. Aber wir wussten nicht, dass ihr Leben bald zuendegehen werde. Als ich nachträglich dem Cineasten den Grund unserer Abwesenheit eröffnete, fand er: ‚Ihr habt recht getan!‘ “
In jener Zeit war Rui Nogueira in Genf eine Institution. Mehr als dreissig Jahre lang leitete er das Centre d’animation cinématographique. „Dank Ihnen habe ich den Film entdeckt“, sagten ihm die Besucher immer wieder. Es war sein Ding, die Stadt mit der Begeisterung für den Film zu entflammen. Er führte in die Vorstellungen ein. Er leitete die Diskussionen. Er programmierte die Spielzeiten. Er begrüsste die Filmgrössen. Er war Monsieur Cinéma.
Doch ein Schatten bleibt: Rui Nogueira hat kein eigenes Werk geschaffen. Er hat nur die Werke anderer vermittelt. Er blieb zeitlebens einer, der lediglich „auch dabei“ war, mithin, wienerisch gesprochen, ein Adabei. Aber er ist guter Gesellschaft mit den Lesern dieser Zeilen und den Betrachtern der „Plans Fixes“. Auch mehrere Westschweizer Persönlichkeiten wie > Anne Ansermet, > Georges Duplain und > Gilbert Vincent sind ins Filmpantheon aufgenommen worden, obwohl sie nichts Eigenständiges geschaffen haben. Umgeben von ihnen kann der Vulkan Rui Nogueira ein letztes Mal seine Brocken in die Höhe schleudern, bevor er erlischt und sich zu Godard, Fassbinder und Preminger gesellt ...