Bertrand Kiefer: Arzt und Journalist. Am Ende der Menschlichkeit

7. Juni 1955 –

 

Aufgenommen am 19. Juni 2019 in Thonex.

http://www.plansfixes.ch/films/bertrand-kiefer/

 

> Bertrand Kiefer ist ein Mann der Wandlungen. Als er den Vater zu einem Gespräch einlud, war der überzeugt, der junge Arzt werde ihm die Hochzeit ansagen. Doch Bertrand verkündete: „Ich werde Priester!“ Zehn Jahre später erklärte er den kirchlichen Vorgesetzten: „Ich ziehe die Soutane aus!“ Als Laie bewarb er sich beim Lokalteil des „Journal de Genève“ um eine Praktikantenstelle. Dann kam die letzte Wendung. <


Kaum ein Porträt in den „Plans Fixes“ bringt eine ähnliche Wandlung des Gefilmten vors Auge wie das Gespräch mit Bertrand Kiefer. Zuerst wirkt der Chefredaktor der „Revue médicale suisse“ kühl. Die einleitenden Sätze des Interviewers hört er sich zwar aufmerksam, aber distanziert an. Die erste Wandlung erfolgt, als Bertrand Kiefer zu sprechen beginnt. In seiner weichen Stimme drückt sich ein überdurchschnittliches Mass von Zartheit und Zuwendung aus. Wer eine solche Stimme im Krankenbett oder Beichtstuhl vernimmt, fühlt sich verstanden und angenommen.

Doch im Film hat Bertrand Kiefers Körper noch keine Regung gezeigt. Unbewegt ruht die linke Hand auf der Tischplatte. Die Rechte liegt, dem Blick entzogen, entweder auf dem Oberschenkel oder auf der Stuhlkante; jedenfalls beteiligt sie sich nicht am Gespräch. Doch während Bertrand Kiefers Haltung Emotionslosigkeit ausdrückt, belebt sich sachte das Gesicht. Der Blick gewinnt Ausdruck. Die Lippen formen ein Lächeln. Bertrand Kiefer erzählt, nach welchen Kriterien er sich fürs Medizinstudium entschied. Anfänglich war die Physik mit im Rennen. Der Erstsemestrige besuchte deshalb die Einführungsveranstaltungen der beiden Fächer und sah: „Bei den Medizinern geht es farbiger und gelöster zu. Und die Mädchen sind schöner.“ Das gab den Ausschlag.

Nun begleitet das Lächeln des verzeihenden Humors Bertrand Kiefers Ausführungen. Zwei, drei Mal verwendet er das Wort „Narzissmus“. Die gelehrte Abbreviatur steht für das banale Sich-hervortun-wollen. Für begabte junge Leute ist das, wie wir wissen, der übliche Weg, um nach oben zu kommen. „Aus der Trivialität der Existenz können wir nicht durch die Türen entkommen, sondern über die Dächer“, vermerkte dazu der kolumbianische Selberdenker Nicolás Gómez Dávila.

 

Das Wort „Narzissmus“ fällt erneut, als Bertrand Kiefer erzählt, wie er sich nach dem Doktorexamen entschied, in den Priesterstand einzutreten. Er kennt sich eben à fond. Wer Selbstemanzipation anstrebt, kommt um Selbsterkenntnis nicht herum, auch wenn das nach Selbstverliebtheit aussehen kann: „Menschen, die sich auf die Beobachtung ihrer selbst gut verstehen und sich damit heimlich gross wissen, freuen sich oft über die Entdeckung eigner Schwachheit“, hielt Georg Christoph Lichtenberg fest.

 

Bertrand Kiefer wird nun aber ernst und engagiert. Er zeichnet den Weg nach, der ihn in den Vatikan geführt hat. In Anbetracht des medizinischen Fortschritts hatte die katholische Kirche Nachholbedarf in Bioethik. Darum wurde der junge Priester eingeladen, in Rom zu forschen. Da erwarb Bertrand Kiefer einen zweiten Doktortitel. Doch die Ernüchterung blieb nicht aus: Der Vatikan ist in den Fragen Sexualität, Zeugung, pränatales Leben vollkommen unbeweglich. Da gibt es nichts zu diskutieren – auch nicht für den wissenschaftlichen Bioethiker.

 

Im Kirchenstaat ist, wie wir wissen, mehr als die Hälfte der Würdenträger schwul. Das verwunderte Bertrand Kiefer nicht. Er bedauerte bloss die damit verbundene Heuchelei, und er erlebte die Unaufrichtigkeit auch in seinem Fall. Als er sich in eine Frau verliebt hatte, sagt man ihm: „Solche Sachen lassen sich arrangieren. Sie sind nicht der einzige Priester, der …“ Bertrand Kiefer machte diese Haltung Mühe; wie auch die Erkenntnis, dass der Vatikan aus drei ungefähr gleich grossen Lagern besteht: „Ein Drittel sind echte Heilige“, führt der ehemalige Insider aus. „Mit ihrer hohen Spiritualität leben sie heute noch in mir. Das zweite Drittel besteht aus verbürgerlichten Funktionären. Und das dritte Drittel bilden bösartige, abgründige Menschen, die auch vor Tötung nicht zurückschrecken.“

 

Nach dem Verlassen des Priesterstands bewarb sich Bertrand Kiefer um ein Praktikum beim „Journal de Genève“ und danach um die Chefredaktion der „Revue médicale suisse“. Das Verfahren dauerte anderthalb Jahre. Zuerst musste der Verdacht ausgeräumt werden, er sei ein Agent der katholischen Kirche.

 

Nun lebt Bertrand Kiefer auf. Er beugt sein Gesicht vor. Er bewegt beide Hände über dem Tisch und lässt sie seine Befindlichkeit ausdrücken. Er spricht direkt in die Kamera. Jetzt geht es um die vitalen Fragen der „augmented humanity“ und des Transhumanismus.

 

In einem Porträt, das 64 Jahre eines Lebens nachzeichnet, ist für die Behandlung dieser Fragen nicht viel Zeit. Aber schon nach wenigen Sätzen ist klar: Schwierige Sachen sind schwierig. Bertrand Kiefer skizziert die Fragwürdigkeit der Konzepte. Sie laufen darauf hinaus, dass die Menschheit auseinanderbrechen wird. „Manche freilich müssen drunten sterben“, diagnostizierte schon 1895 der junge Dichter Hugo von Hofmannsthal. Er beschrieb den Gegensatz zwischen den wenigen und den vielen:

 

Manche liegen immer mit schweren Gliedern

Bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,

Andern sind die Stühle gerichtet

Bei den Sibyllen, den Königinnen,

Und da sitzen sie wie zu Hause,

Leichten Hauptes und leichter Hände.

 

Heute hat Bansky die „Luise Michel“ für die manchen in Fahrt gesetzt: „Wie die meisten Menschen, die es zu etwas in der Kunstwelt gebracht haben, habe ich eine Yacht gekauft, um auf dem Mittelmeer herumzukreuzen“, schreibt der Künstler ironisch in einem knapp einminütigen Video auf Instagram und kritisiert den Umgang der EU mit Flüchtlingen auf dem Mittelmeer. Der Film endet mit der Aufschrift: "All Black Lives Matter" (Alle schwarzen Leben zählen).

 

Während Bertrand Kiefer am Ende des Porträts in den „Plans Fixes“ seine Sicht über den Zustand des Planeten darlegt, tritt hervor: Alles hängt mit allem zusammen. Und: Die wirklich grossen Herausforderungen kommen erst noch auf uns zu. Carpe diem!

 

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