Jean-François Reymond: Maler.

25. Januar 1929 –

 

Aufgenommen am 4. Mai 1995 in Nyon.

Jean-François Reymond – Association Plans Fixes

 

> Jean-François Reymond lässt uns teilhaben, wie eines Tages eine neuartige Kunst zur Welt kam. In einem Akt der Entmutigung griff er in den erkalteten Kamin hinter sich und bewarf das Gemälde, das vor ihm auf dem Boden lag, mit Asche. Augenblicklich begann die Fläche zu sprechen, und Jean-François Reymond erkannte, dass Kunst nicht nur Schaffen und Sich-Ausdrücken heisst, sondern Entdecken. <

 

Paradigmatisch führt das Gespräch über Kunst mit Jean-François Reymond vor, was Kunst ist und was ein Gespräch. Das eine in positiver, das andere in negativer Manier. – Reden wir zuerst vom Negativen, also vom Gespräch. Der Film zeigt nämlich, wie man es nicht machen darf.

 

Jean-François Reymond ist sehr auskunftswillig. Die Befragerin hat in dem Fall nichts anderes zu tun als zuzuhören und zuweilen durch Blick und Miene Interesse am Vernommenen zu zeigen. Gelegentliches Nicken, eingestreute Aufmerksamkeits­­reaktionen wie „Aha!“ oder „Ja so …“ genügen, um das Gespräch im Lauf zu halten.

 

Weitere Interventionen sind nicht bloss unnötig, sondern störend. Der Gedankengang fällt ihnen zum Opfer. Manchmal ist das, worauf der Redende hinauswollte, unwiederbringlich verloren, weil keiner der Gesprächspartner in der Lage ist, wieder ans Abgehackte anzuknüpfen.

 

Natürlich soll die hörende Partei auch einmal zu Wort kommen. Aber erst, wenn der Sprechende „sich“ (und das heisst häufig auch: „es“) ausgesprochen hat. Wenn ihm das abgestellt wird, drängt „es“ weiter aus ihm heraus und hindert ihn selber am Hören. Er kommt dann wieder und wieder aufs Angefangene, aber noch nicht vollständig Ausgeführte, zurück, und die Konversation – zu deutsch: Wechselrede – erstarrt in sturer, aber ohnmächtiger Wiederholung. Stagnation statt Dynamik.

 

Bei allen Streitigkeiten kommt am Ende doch nichts weiter heraus, als dass sich zwei entgegengesetzte, nicht zu vereinigende Vorstellungsarten recht deutlich aussprechen und jeder auf der seinigen nur desto fester und strenger beharrt. (Goethe)

 

Armande Reymonds „entgegengesetzte Vorstellungsart“, die sie zur Befragung ihres Verwandten in die „Plans Fixes“ mitbringt, führt dazu, dass der Fluss der Rede von Jean-François immer wieder behindert, abgebrochen, umgelenkt wird. Denn die junge Frau will nicht das hören, was der Künstler sagen möchte, sondern das, was er ihrer Meinung nach sagen sollte. Damit bekommt das Gespräch den Charakter einer Prüfung, in welcher der Kandidat das auszusprechen hat, was im Kopf der Examinatorin als Ergebnis schon feststeht.

 

Glücklicherweise ist Jean-François Reymond mit ausreichender Ich-Stärke ausgerüstet, um, allen Störungen zum Trotz, seinen Gedankengang immer wieder fortzusetzen. Dadurch realisiert er, was Goethe als Sonderfall zuliess: „Direkt und grob seine Meinung herauszusagen, mag nur entschuldigt werden können und gut sein, wenn man durchaus recht hat.“

 

Durchaus recht hat nun Jean-François Reymond bei der Schilderung jener Entdeckung, die ihm Türen ins Unendliche öffnete, weil ihm aufging, was die Asche auf dem Bild bedeuten wollte: Zwei Schichten kamen zusammen; eine planvoll Gestaltete und eine aleatorisch Geworfene im strengsten etymologischen Wortsinn („alea“ geht zurück auf lateinisch „Würfel; Zufall“). In diesen Schichten kamen auch zwei verschiedene Zeiten zum Vorschein: die dem Akt des Schaffens zugehörige und die dem Akt des Verbrennens zugehörige. Und dahinter die Gegensätze von Natur und Kunst, Idee und Vergänglichkeit, früher – später.

 

Die Exploration des Einfalls führte Jean-François Reymond zu neuen Einsichten über das, was Schaffen und Gestalten heisst, weil im Moment der Entdeckung die Gesetze von Form, Volumen, Licht, Farbe und Farbton auf nie gesehene Weise miteinander zu interagieren begannen. In der Folge musste Jean-François Reymond sein Metier nicht nur neu definieren, sondern auch neu erlernen. Dabei lebte er jeweils in zwei Zeiten: Beim Finden und Erfinden in der vertikalen, beim Gestalten und Ausführen in der horizontalen Zeit.

 

1986 berief Jacques Monnier-Raball den 57-jährigen Maler an die École cantonale d’art de Lausanne. Dort übernahm er zwei Jahre später die Leitung des Departments Art et Science, vermutlich bis zur Pensionierung. – Um zu erklären, was er den Schülern mitgab, verweist Jean-François Reymond im Film auf > Jacques Mercanton: „Wir haben an der Universität einen hervorragenden Professor. Wer bei ihm studiert, wird zwar kein Proust, aber er lernt, was ein Text ist. Und in meinem Fall lernt er die Gesetze des bildnerischen Gestaltens. Die Anwendung ist dann Sache seiner Kreativität.“

 

Ob wohl Jean-François Reymond heute noch lebt? Dann wäre er 92 Jahre alt. Auf die entsprechende Anfrage antwortet das Sekretariat der kantonalen Kunsthoch­schule  Lausanne:

 

Guten Tag 

Wir bestätigen den Erhalt Ihrer Nachricht und danken Ihnen dafür. 

Leider haben wir keine Informationen über diesen Herrn in unseren Dateien, es tut mir leid. 

Beste Grüsse 

A. C.

 

„Erinnerungen von jenseits des Grabes“ von François René, Vicomte de Chateaubriand:

 

Ist es sicher, dass ich ein echtes Talent habe und dass dieses Talent es wert war, ihm mein Leben zu opfern? Werde ich mein Grab überdauern? Wenn ich hinübergehe, wird es dann noch ein Publikum geben, um mich zu hören, in einer Welt, die sich verändert und mit vielem anderen beschäftigt ist? Werde ich nicht ein Mann der Vergangenheit sein, unverständlich für die neuen Generationen? Werden meine Ideen, meine Gefühle, mein ganzer Stil, für die verächtliche Nachwelt nicht einfach langweilig und veraltet sein?

 

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