Victor Desarzens: Dirigent.

27. Oktober 1908 – 13. Februar 1986.

 

Aufgenommen am 23. Mai 1984 in Aran.

Victor Desarzens – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Vom Bielersee herkommend, liess sich Charles Desarzens im Waadtland nieder. Zuerst er arbeitete in einer Genossenschaftsbäckerei, dann übernahm er einen eigenen Laden und heiratete die Konditorstochter Louise Emma Grezet. Die Brote, die damals über den Ladentisch gingen, sind längst gegessen. Victor Desarzens aber, der dem Paar am 27. Oktober 1908 entspross, ist heute noch ein Begriff. Der Konzertsaal im Radiostudio Lausanne trägt seinen Namen. <

 

Das Gespräch, das Bertil Galland mit Victor Desarzens für die „Plans Fixes“ führt, zerfällt in zwei Teile: einen irdischen und einen überirdischen. Wo der Befragte zuhause ist, machen schon die ersten Filmminuten klar: Der 76-jährige wirkt zwei Jahre vor seinem Tod durchgeistigt und von innen her leuchtend. Den Filmrollen vertraut er als Vermächtnis seine Auffassung von Musik an: eine heilige Sache. So ergibt es sich, dass der Klarheit seiner Ausführungen ein letzter Ernst beigemischt ist.

 

Bertil Galland hört reglos zu, wie der greise Dirigent die Welt der Kompo­nisten Gesualdo, Monteverdi, Beethoven, Wagner und Martin umreisst. Die Ausführungen zielen auf den Kern, und gleich entstehen spannende, kraftvolle Beziehungen.

 

Offen bleibt notgedrungen, was Desarzens aus den Partituren zu Klang brachte, während er an der Spitze seiner beiden Orchester stand: dem Orchestre de chambre de Lausanne, das er 1942 im Alter von 34 Jahren gründete und bis 1973 leitete, und dem Stadtorchester, heute Musikkollegium Winterthur, dem er zwischen 1950 und 1975 vorstand.

 

Die Tiefe der Beziehung zur Musik jedoch zeigt sich an der Bewegung seines Inneren. Zweimal wird Victor Desarzens von ihr überwältigt. Er spricht von einem der letzten Beethoven-Streichquartette: Ein Akkord, dann vier thematische Transforma­tionen. Victor Desarzens kann nicht mehr weiterreden. Die Stimme bricht ab. Tränen steigen in die Augen. Daumen und Zeigefinger wischen sie weg.

 

Dann nimmt sich der Dirigent zusammen und spricht über Zwölftonmusik („Dodekakaphonie“) und seinen Freund Frank Martin. Der hat an der Stelle des Oratoriums „Le vin herbé“, wo der Verrat an König Marke zur Sprache kommt, eine perfekte Zwölftonreihe in die Komposition geschmuggelt. Wieder reisst die Bewegung den Musiker mit, und die Kamera erstarrt auf dem tränennassen Gesicht.

 

Unterdessen ist die Zeit fortgerückt. Der Schlag der Pendüle, der zu Beginn der Aufnahme 11:30 Uhr anzeigte, geht jetzt auf die zwei. Auf dem Tisch stehen zwei Weinbecher. „Prost! Gleich werden wir uns mit einer guten Mahlzeit stärken.“

 

Das Gespräch wendet sich dem Irdischen zu: Wie Victor Desarzens aufwuchs. Wie er so lange bettelte, bis ihm mit vier der Vater eine Geige schenkte. Die beiden ersten Lehrer. Das Konzertdiplom mit siebzehn. Eintritt ins Orchestre de la Suisse romande. Gründung des eigenen Klangkörpers und Wechsel ins Dirigierfach. Ernest Ansermet: „Als Sie bei mir gelernt hatten, was ich machte, dass es gut herauskam, und was ich machte, dass es misslang, haben Sie das Orchestre de la Suisse romande verlassen und Ihr eigenes gegründet.“ „So war es.“

 

Der Komponist > Julien-François Zbinden spricht mit Bewunderung und Dankbarkeit von Victor Desarzens: „Er gab uns Jungen eine Chance und führte uns auf.“ Wikipedia verweist neben dem Namen Zbinden auch auf Raffaele D’Alessandro, Jean Balissat, Eric Gaudibert, Peter Mieg und Armin Schibler.

 

Als Tonmeister von Radio Lausanne bewunderte Zbinden die Kunst der Programmierung, mit der Desarzens bei den Konzerten des Orchestre de chambre de Lausanne Beziehungen zwischen den Werken schuf. Offensicht­lich betrieb der Meister das Aufführen von Werken wie Walther Killy die Anthologistik: „So verstehe man das hier Zusammengefasste als Wegweiser in ein reiches, fernes Land.“

 

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