Gabrielle Ethenoz-Damond: Ein engagiertes Leben.

4. Juni 1921 – 23. Dezember 2017.

 

Aufgenommen am 6. Oktober 2000 in Nyon.

Gabrielle Ethenoz-Damond – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Gleich bei Einführung des Frauenstimmrechts wurde Gabrielle Ethenoz-Damond, dazumal Verwalter (administrateur) – auf diese Form legt sie Wert – der Bau- und Holzarbeitergewerkschaft F.O.B.B., von der sozialistischen Partei für die Wahl ins Stadtparlament von Nyon vorgeschlagen. Das Resultat war so glänzend, dass sie auch für den Waadtländer Grossen Rat aufgestellt wurde. Die Männer erwarteten durch sie Zusatzstimmen für die Linke. Doch zum allgemeinen Erstaunen wurden die Mitkonkurrenten von Gabrielle Ethenoz-Damond überholt. Wenn man sich heute fragt, warum, so gibt der Film die Antwort: „Keine Spielchen.“ <

 

Im Jahr 2000 bekommt Gabrielle Ethenoz-Damond durch den Besuch der „Plans Fixes“ ihr Denkmal. Als 184. Persönlichkeit der Westschweiz wird die 79-Jährige ins Filmpantheon aufgenommen. Dort sind seit Dezember 1977 bis heute 360 Menschen zu finden, die ihre Zeit und ihren Ort geprägt haben. Dort wird man durch die Suchmaschinen auch hingeführt, wenn man den Namen Gabrielle Ethenoz-Damond eintippt.

 

Bei Wikipedia gibt es für sie keinen Treffer. Auch nicht im „Historischen Lexikon der Schweiz“. Zugehörig­keit zu lokalen und kantonalen Parlamenten ist nicht ausreichend für Prominenz, selbst nicht für eine Frau. Denn was hat sie geleistet? Sie hat nur gedient: der guten Sache, dem guten Anliegen und den Menschen, die Hilfe brauchten. Das ist nichts Spezielles. Das kann jeder.

 

In einer Epoche, die den Menschen „Selbstverwirklichung“ vorschreibt, steht das Dienen nicht mehr hoch im Kurs. Deshalb ruft Gabrielle Ethenoz-Damond ein fast schon mitleidiges Lächeln hervor, wenn sie gesteht, dass sie gern Konfitüren macht. Dass die Töpfchen dann verkauft werden für die „Femmes sans frontières“, gibt der Köchin nicht mehr Prestige. Immer noch haftet ihr das Odium des guten, mildtätigen Hausmütterchens an.

 

Die Freude am Gärtnern macht’s nicht besser, auch wenn sich dieser Ausgleich für Gabrielle Ethenoz-Damond mit glücklichen Kindheitstagen verbindet: „Die Männer gruben die Erde um. Die Frauen pflanzten und säten, hegten und pflegten.“ Hoppla. Wird da nicht das Patriarchat verherrlicht?

 

Anderseits scheint sich die Frage von Anerkennung und Gleichberechtigung bei Gabrielles Männern, Albert I. und Albert II., nie gestellt zu haben. Albert I. war der Gewerkschaftssekretär, der die junge Frau von der Porzellanfabrik Nyon wegholte und zum Gewerkschaftsverwalter machte. „Im Lauf von drei Jahrzehnten ist nicht der geringste Schatten auf unsere Zusammenarbeit gefallen“, ruft Gabrielle Ethenoz-Damond anerkennend aus. Das Verhältnis wurde auch nicht getrübt, als Albert II. ins Gewerkschaftsbüro eintrat und den Verwalter – heute müsste man sagen: die Verwalterin – heiratete.

 

Obwohl Gabrielle Ethenoz-Damond als Politikerin und Gewerkschafterin ein Leben lang gegen Ungerechtigkeit kämpfte, geht ihr alle Verbissenheit ab. Und warum? Weil sie sich für alles interessierte. Deshalb behielt sie einen weiten Blick und ein verträgliches Herz. An ihr hätte Bertolt Brecht Freude gehabt. In seinem Arbeitsjournal schrieb der Dichter am 10. Juni 1950:

 

lese eine arbeit über gorki und mich, von einer arbeiterstudentin in leipzig verfasst. ideologie, ideologie, ideologie. nirgends ein ästhetischer begriff; das ganze ähnelt der beschreibung einer speise, bei der nichts über den geschmack vorkommt. wir müssten zunächst ausstellungen und kurse für geschmacksbildung veranstalten, dh für lebensgenuss.

 

Voraussetzung für die Gerechtigkeit, welche die Politikerin und Gewerkschafterin ein Leben lang anstrebte und für die sie ein Denkmal verdient hat, ist die Sachlichkeit, d.h. die einer Sache gemässe Auffassung. Die erste Hälfte des Films bildet dafür eine durchlaufende Demonstration – mithin „une leçon de choses“.

 

Umsichtig befragt von Brigitte Mantilleri, die schon das Gespräch mit > Laurence Deonna führte, erzählt Gabrielle Ethenoz-Damond, wie sie mit ihrer einseitigen Begabung für Mathematik in eine Sackgasse geriet: „Aus dir könnte es einen Architekten oder Ingenieur geben. Aber das sind keine Berufe für Frauen“, sagte man ihr am Ende des Collège. 

 

Also Lehrerin. Doch das kantonale Seminar Lausanne nahm nur zwanzig Schüler auf. Die drei Kandidaten aus Nyon gingen leer aus. Was nun? Gabrielle hatte keine Berufsvorstellung mehr. Da kam ein Lehrer auf sie zu: „An der Porzellanfabrik sind zwei Lehrstellen zu besetzen. Meld dich!“ So wurde Gabrielle zur Porzellanmalerin.

 

In meinem Schrank liegt Geschirr, das ich von den Eltern geerbt habe. Jedes Exemplar ist einzigartig. Man kann es nicht in die Maschine stecken. Darum wird es geschont und kommt nur selten auf den Tisch. Es stammt aus der Hand meiner Mutter. Mit fünfzig hatte sie dem langgehegten Wunsch nachgeben dürfen, das Porzellanmalen zu lernen. In der schwierigsten Zeit zwischen sechzig und achtzig, wo der Mann an ihrer Seite wegen Trunksucht zur Belastung wurde, blühte ihre Kunst auf.

 

Mama beherrschte virtuos den feinen Pinsel und setzte die Blumen, die Farb­girlanden und Goldornamente auf die delikatesten Gegenstände: Mokka­tassen, Fingerhüte, Untersätze, Fruchtteller. Sie verschenkte ihre Werke in alle Rich­tungen. Die gleichaltrigen Freundinnen zeigten spontane Freude. Ich aber brachte es nicht über artiges Danken hinaus. „Leg es beiseite“, sagte sie. „Wenn ich einmal tot bin, wirst du es zu schätzen wissen.“

 

Bis heute kam mir nicht in den Sinn, mir zeigen zu lassen, wie die Blumen und Ornamente auf die Unterlagen kamen. Nun aber beschreibt Gabrielle Ethenoz-Damond in ihrem „Plans Fixes“-Porträt das Prozedere ganz anschaulich und errichtet damit die Brücke in eine Vergangenheit, die ich schon verloren gab.

 

Merci, Madame, pour votre leçon de choses !

 

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