Pascal Auberson: Rebellischer Engel.

21. April 1952 –

 

Aufgenommen am 8. Juli 2020 in Lausanne.

Pascal Auberson – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Pascal Auberson ist der Vergnügungsminister, wie er im Buche steht: „Vergnügungsminister sind offenherzig, spontan und begeisterungsfähig. Sie leben im Hier und Jetzt und folgen ihren spontanen Impulsen. Dabei können sie andere gut mitreissen und jeden Moment zu einem besonderen und unverwechselbaren Erlebnis werden lassen. Sie versprühen Optimismus und Lebensfreude. Tatsächlich landen sie auch immer wieder auf den Füssen, zumeist sogar, ohne dass sie selbst genau wissen, wie es passiert.“ „So bin ich eben!“ So heisst das Buch, in dem die Psychologinnen Stefanie Stahl und Melanie Alt den Sänger, Perkussionisten, Avantgarde­musiker und Pianisten Pascal Auberson im Kapitel „Vergnügungsminister“ erfassen. <

 

Pascal Auberson ist heute 70. Wenn er sich in der deutschsprachigen Wikipedia eintippt, kann er die Altersfreuden nachvollziehen, von denen im letzten Jahrhundert der Philosoph Hans Georg Gadamer und der Erziehungs­wissenschaftler Hartmut von Hentig miteinander sprachen.

 

Die Koryphäen stellten fest, dass das Alter nicht nur Abbau, Gebrechen und Einschränkungen mit sich bringe, sondern auch eine ganz besondere Art von Freuden – Altersfreuden eben. Gadamer und Hentig hatten im Lauf der Zeit beobachtet, dass im Brockhaus der Eintrag über sie von Auflage zu Auflage wuchs, während der Artikel über den Vater schrumpfte. Und eines Tages war der Vater überholt. 2006, in seiner letzten Auflage, erwähnt der Brockhaus unter den Stichwörtern „Gadamer“ beziehungsweise „Hentig“ nur noch die Söhne. Die Väter existieren nicht mehr.

 

Pascal Auberson hat heute den Vater auch überholt (jedenfalls in der deutschsprachigen Wikipedia). Der Name des Vaters Jean-Marie Auberson steht für eine mittlere Karriere als Dirigent. Der Name des Sohnes für einen fulminanten Start in der Kategorie „Chanson française“ am Festival von Spa 1974. Da erringt der 22-Jährige mit dem Lied „Ophélie“ den ersten Preis. Es folgt ein zehnjähriger Rausch, in dem Pascal von Auftritt zu Auftritt, von Platte zu Platte, von Fernsehshow zu Fernsehshow, von Erfolg zu Erfolg fliegt und, was die jungen weiblichen Fans angeht, von Blüte zu Blüte.

 

Doch unter der Enge des Gewerbes, der Fremdbestimmung („letztlich entscheiden zehn Leute über das Showbusiness“) und der Einsamkeit des Erfolgs beginnt Pascal Auberson zu leiden. Nach zehn Jahren schmeisst er von einem Tag zum andern seine Karriere hin.

 

Vergnügungsminister entscheiden gefühlsmässig. Sie können mit theoretischen Gedankengebäuden wenig anfangen. Sie müssen handeln und Lösungen ausprobieren; vorher lange darüber nachzudenken, ob und wie die Lösung genau funktionieren könnte, bringt sie nicht weiter.

 

Jetzt erarbeitet Pascal Auberson mit der Choreographin Diane Decker, seiner späteren Frau, avantgardistische Produktionen. „Eine davon“, erzählt er lachend, „leerte den Saal.“ Dann beteiligt er sich an Kollaborationen mit Jazzmusikern, Tanzkünstlern, Komponisten von Neuer Musik, Choreographen und experimentellen Ensembles. „Am einen Abend sang ich vor fünftausend Zuschauern, am nächsten spielte ich in einem Free Jazz-Ensemble Perkussion vor fünfzig Zuschauern und am dritten wirkte ich vor fünf Zuschauern an einer Uraufführung mit.“

 

Vergnügungsminister wollen das Leben voll auskosten. Dabei gehen sie sehr offen, neugierig und unvoreingenommen an alles Neue heran. Sie möchten frei, spontan und ungezwungen leben, möglichst ohne äussere Zwänge, die sie in ihrem Verlangen einengen. Sie erlegen sich ungern Beschränkungen auf.

 

Pascal Auberson ist in einem Musikerhaushalt aufgewachsen. Während die Mutter Klavier übte, lag Pascal unterm Flügel und wurde getränkt mit tausend und abertausend Tönen. Im Haus begegneten sich lauter begabte Leute, die miteinander assen, tranken, diskutierten, musizierten und sangen. „Für uns Kinder war das anregend, aber auch destabilisierend. Um drei Uhr nachts riss mich der Vater aus dem Bett, stellte mich auf den Tisch und befahl: ‚Sing!‘“ Der 70-jährige sieht das kritisch: „Wer in einer Künstlerfamilie aufwächst, hat keinen festen Boden unter den Füssen. Er geht wie auf Sand. Alle Tage ist alles anders – eigentlich verrückt.“

 

„Was hätten Sie denn vom Vater gebraucht?“, fragt Patrick Ferla, der Interviewer. Ohne zu zögern, entgegnet Pascal Auberson: „Den Satz: Ich liebe dich. Ich liebe dich, so wie du bist. Ich liebe dich, auch ohne dass du eine besondere Leistung vorzeigst.“

 

Mit Diane Decker hat Pascal Auberson zwei Kinder zur Welt gebracht. In einem Abstand von zwölf Jahren. „Wir wollten ihnen sagen können: Du bist nicht passiert. Wir haben dich gewünscht!“

 

Vergnügungsminister sind warmherzige, zugewandte und unterstüt­zende Eltern. Weil sie manchmal selbst gern noch Kind wären, können sie sich gut in die kindlichen Bedürfnisse einfühlen. Sie machen das Leben für ihre Kinder bunt und abwechslungsreich: Mit Vergnügungs­minister-Eltern ist immer was los. Kinder von Vergnügungsminister-Eltern wachsen mit sehr vielseitigen Eindrücken und Erfahrungen auf. Dadurch lernen sie, weltoffen, tolerant und flexibel zu sein.

 

Im Panorama der 360 Westschweizer Persönlichkeiten, welches die „Plans Fixes“ im Lauf von 45 Jahren zusammengebracht haben, repräsentiert Pascal Auberson die Extraversion. Ihm gegenüber steht > Azari Plissetski, der Tänzer, Choreograph und Ballettlehrer.

 

Der eine ist während der Aufnahme unablässig in Bewegung. Sein Gesicht und seine Hände, ja der ganze Körper macht deutlich, was er denkt und fühlt. Der andere, Musterbild der hundertprozentigen Introversion, murmelt mit monotoner Stimme, wie ihn die Karriere von Moskau nach Lausanne brachte und vom sowjetischen Imperium in die freiheitliche Schweiz. Beide haben Bemerkenswertes geleistet.

 

Der eine Künstler ist Präzisionsminister:

 

Präzisionsminister sind die Zuverlässigkeit in Person. Wenn ein Präzisionsminister sich einer Sache annimmt, wird sie tadellos und termingerecht erledigt. Im menschlichen Umgang sind Präzisions­minister sehr reserviert. Auf andere können sie unnahbar, sogar ablehnend wirken, obwohl dies selten in ihrer Absicht liegt. Ihre Umgangsformen sind höflich, manchmal sogar etwas förmlich.

 

Anders die Vergnügungsminister:

 

Vergnügungsminister haben ihre „Sinnesantennen“ permanent auf Aussenempfang gestellt. Sie sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen sehr genau, was um sie herum passiert. Aufgrund ihres extravertierten Wesens brauchen sie viel Stimulation [Pascal Auberson: „Während des Corona-Lockdowns habe ich geweint.“], die sie besonders aus dem Zusammensein mit Menschen [„Ich brauche die Berührung mit der Haut.“], aber auch aus den vielfältigen Sinneseindrücken in ihrer Umgebung beziehen. [„Das Haus, das wir hier im Lausanner Trendquartier Flon bewohnen, ist offen. Menschen aller Art begegnen sich hier zum Essen, Tratschen, Musizieren, Tanzen.“]

 

Gadamer, Hentig, Auberson … „Des Vaters guter Name ist der Kinder schönstes Erbteil.“ (Volksmund)

 

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