Eric Tappy: Tenor.

19. Mai 1931 –

 

Aufgenommen am 31. Mai 1985 in Belmont-sur-Lausanne.

Eric Tappy – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> In seiner Jugend hat Eric Tappy noch erlebt, dass die ganze weitläufige Familie am Sonntag zum Singen und Musizieren zusammenkam. Instrumente wurden ausgepackt, Ständer aufgestellt, Notenblätter verteilt. Jedes Dorf hatte seinen Chor (la chorale), zuweilen auch mehrere: Männerchor, Frauenchor, gemischter Chor. Und eine Blasmusik (la fanfare). In dieser Welt lernten die Kinder das Notenlesen von selbst, so wie heute das Fussball­spielen und das Gamen. <

 

Die Geschichte des Waadtländer Lehrers Eric Tappy, der in der Gesamtschule des Dörfleins Vich am unteren Genferseebecken 42 Kinder zwischen 6 und 16 Jahren gleichzeitig unterrichtete, erinnert an die Berufung Davids zum König:

 

Und der Herr sprach zu Samuel: Fülle dein Horn mit Öl und gehe hin: Ich will dich senden zu dem Bethlehemiter Jsai; denn unter seinen Söhnen habe ich mir einen König ersehen. Samuel tat, wie ihm der Herr gesagt hatte, und kam gen Bethlehem. Er heiligte den Jsai und seine Söhne und lud sie zum Opfer. Da sie nun hereinkamen, sah er den Eliab an und gedachte, der sei vor dem Herrn sein Gesalbter. Aber der Herr sprach zu Samuel: Siehe nicht an seine Gestalt noch seine grosse Person; ich habe ihn verworfen. Denn es geht nicht, wie ein Mensch sieht: Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an. Da rief Jsai den Abinadab und liess ihn an Samuel vorübergehen. Und er sprach: Diesen hat der Herr auch nicht erwählt. Da liess Jsai vorübergehen Samma. Er aber sprach: Diesen hat der Herr auch nicht erwählt. Da liess Jsai seine sieben Söhne an Samuel vorübergehen. Aber Samuel sprach zu Jsai: Der Herr hat der keinen erwählt. Und Samuel sprach zu Jsai: Sind das die Knaben alle? Er aber sprach: Es ist noch übrig der jüngste; und siehe, er hütet die Schafe. Da sprach Samuel zu Jsai: Sende hin und lass ihn holen; denn wir werden uns nicht setzen, bis er hierherkomme. Da sandte er hin und liess ihn holen. Und er war bräunlich, mit schönen Augen und guter Gestalt. Und der Herr sprach: Auf! und salbe ihn; denn er ist’s. Da nahm Samuel sein Ölhorn und salbte ihn mitten unter seinen Brüdern. Und der Geist des Herrn geriet über David von dem Tage an und fürder.

 

Der junge Lehrer von Vich stand jeden Tag um fünf Uhr auf. Bevor die Schüler kamen, musste er den Klassensaal einheizen. Abends korrigierte er Arbeiten, bereitete den Unterricht vor und leitete die Proben des Dorfchors. Er hatte die Kunst noch zu einer Zeit gelernt, als das Singen am Seminar grossgeschrie­ben wurde. Da war die Musik kein weiches Fach; und schon gar nicht unter der Hand von Hermann Lang. Bei ihm lernte man Unerbittlichkeit, Authentizität, Willen, Anspruch. Manchmal durch Leiden. (La rigueur, l'authenticité, la volonté et l'exigence, parfois à travers la souffrance.)

 

Der zweite Musiklehrer des Seminars, Robert Piguet, besuchte den Unterricht an der Dorfschule von Vich, lobte das Gesangstalent des Pädagogen und legte ihm nahe, seine Stimme in Genf weiter auszubilden. Eben sei ein Flüchtling aus Polen angekommen: Fernando Carpi, ein grosser italienischer Operntenor, einstmals Mitglied der Scala, der Pariser Oper, der Met, jetzt Lehrer für Leute wie Gwineth Jones und Ernst Haefliger. Der Kandidat aus Vich wurde Carpis Schüler.

 

Pro Woche konnte er sich eine Stunde leisten. Mehr lag nicht drin, weder zeitlich noch finanziell. Sieben Jahre fuhr er neben dem vollen Pensum nach Genf, und zuhause machte er nach dem Unterricht täglich eine Stunde Gesangsübungen: „Es war nicht leicht, mit dem Kreidestaub auf den Stimm­bändern.“

 

Mit 28 Jahren begann er, in Oratorien aufzutreten. Das Debüt erfolgte in Strassburg als Evangelist in der Matthäus­passion. Da hörte ihn einer der wenigen Schüler Maurice Ravels, mit denen der Komponist eng befreundet gewesen war. Manuel Rosenthal wirkte in Paris als Dirigent beim Radio­sinfonie­orchester und an der Opéra Comique.

 

Der Nachwuchstenor jedoch scheute vor der Bühne zurück. Er dachte, das Musiktheater würde seine Stimme ruinieren. Auch hatte er bis jetzt erst zwei Opern gesehen, beide noch als Jugendlicher: „Rigoletto“ im Stadttheater von Lausanne und „La forza del destino“ auf dem Marktplatz von Vevey. Er verstand sich als Liedsänger. Zusammen mit > Hugues Cunéod, ebenfalls Tenor, und > Christiane Jaccottet, Cembalistin, setzte er am Genfersee die Monteverdi-Renaissance in Gang.

 

Dem neuen Direktor der Genfer Oper, Herbert Graf, gelang es indes, ihn zur Rolle von Jaquino in „Fidelio“ zu überreden. Immerhin dirigierte Ernest Ansermet. Nun war das Eis gebrochen, und durch Rosenthal kam der junge Tenor an die Opéra Comique. Seine erste grosse Rolle war Zoroaster von Jean-Philippe Rameau. Dann bekam er die bedeutenden Partien von Mozarts Opern: Don Ottavio, Titus, Tamino.

 

Sein Name war jetzt gemacht.

 

1971 Festival d’Aix-en-Provence: Eric Tappy als Tamino.

1972 Köln: Eric Tappy als Tamino.

1972 Brüssel: Eric Tappy als Tamino.

1973 Lyon: Eric Tappy als Orfeo.

1974 San Francisco: Eric Tappy als Don Ottavio.

1974 London: Eric Tappy als Titus.

1974 Festival d’Aix-en-Provence: Eric Tappy als Titus.

Dann Edinburgh, Drottningholm, Chicago, Hamburg, München, Zürich, Genf u.v.a.m. 

1978 Salzburger Festspiele: Eric Tappy als Tamino.

1979 Salzburger Festspiele: Eric Tappy als Tamino.

1980 Salzburger Festspiele: Eric Tappy als Tamino.

 

1981: Die Zauberflöte. CD. RCA Victor Opera Series. Eric Tappy als Tamino.

 

Dazu Piotr Kaminski:

 

Von der ausgezeichneten Salzburger Produktion bleibt uns hier die gross­zügigste Umsetzung des Dialogs in der Diskographie. Unsere Wahrnehmung der Figuren und der Handlung wird dadurch vollstän­diger (nicht unbedingt zum Vorteil Schikaneders), und das Timing näher an der ursprünglichen Konzeption: Sehr lehrreich. Tappy hätte in all den Jahren, in denen ihn die grossen Studios ignorierten, einen traumhaften Tamino abgeben können: Hier beginnt es ihm an Substanz und Sicherheit in der Höhe zu fehlen. Er hebt sich also für die entscheidenden Szenen auf, und vor den Portalen ist er aussergewöhn­lich, klar, edel, strahlend. Daneben hat er eine echte Tamino-Stimme, keinen Wagner- und Zarzuela-Tenor.

 

1981: L’incoronazione di Poppea. DVD. TELDEC/DECCA. Eric Tappy als Nero.

 

Dazu Christophe Capacci:

 

Die Könnerschaft von Eric Tappy als Nero, der von einer verheerenden Poppea in Panik versetzt wird, zeichnet ihn als krankhaft-unausgegli­chenen Machthaber, der seine Intonationen mal beim Atmen findet, mal bei voller Stimme, völlig zyklothym.

 

1981: Im selben Jahr, wo James Levines CD der Salzburger „Zauberflöte“ und Nikolaus Harnoncourts DVD der Zürcher „Incoronazione“ herauskommen, zieht sich Eric Tappy von der Bühne zurück.

 

Mit fünfzig wird er wieder Lehrer. Aber diesmal nicht mehr in einem Dörfchen, sondern in einer Grossstadt. Am Opernhaus von Lyon gründet er das Atelier d’interprétation vocale et dramatique und versucht, den jungen Künstlern sein Wissen weiterzugeben – „sofern man das kann“, sagt er.

 

Heute ist er neunzig. Man findet ihn in einer Alterswohnung am oberen Becken des Genfersees: „Die Résidence Ilot du Parc SA in Lutry beherbergt Menschen im dritten und vierten Lebensalter in einer sozial aktiven Umgebung mit hohem Standard."

 

Da der König David alt war und wohl betagt, gebot er seinem Sohn Salomo und sprach: Ich gehe hin den Weg aller Welt. So sei getrost und sei ein Mann.

 

 

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