Yvette Théraulaz: Schauspielerin, Sängerin.

28. Februar 1947 –

 

Aufgenommen am 29. August 1991 in Lausanne.

Yvette Théraulaz – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Vor 31 Jahren wurde das Gespräch mit Yvette Théraulaz gefilmt. Die Zeit liegt weit ab. Man merkt es an den unruhigen Buchstaben des Vorspanns. Sie zittern wie bei den Vorführungen des Schulkinos, zu denen im letzten Jahrhundert die Klassen bei Quartalsschluss ins Singzimmer aufgeboten wurden. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war die Schauspielerin 44. Sie zog eine erste, schon beeindruckende Lebensbilanz. Heute, mit 75, steht sie immer noch auf der Bühne. Und sie hat nicht weniger zu sagen als damals zur Kamera der „Plans Fixes“. <

 

1991, als Yvette Théraulaz in Lausanne über ihre Theaterarbeit sprach, hiessen die Sterne am deutschen Regiehimmel Dieter Dorn, Andrea Breth, Luc Bondy, George Tabori, Claus Peymann, Klaus Michael Grüber, Peter Zadeck und Johannes Schaaf.

 

Ach, wie habe ich das Schauspiel geliebt! Jedes Stück habe ich mir angesehen, und es gab Schauspielerinnen, an deren Lippen und Blicken und Schritten ich hing wie ein Süchtiger. Ein gelungener Satz, eine Pause, eine Handbewegung im rechten Moment haben mich tagelang glücklich gemacht, und ich litt, wenn neben den Könnern eine spielte, die es nicht konnte. Doch dann begann die schlimme Zeit. Text durfte jetzt nur noch genuschelt oder gebrüllt werden und die Schauspielerin­nen mussten so tun, als meinten sie das, was sie spielen, gar nicht. Nebenbei behaupten die Schauspielhäuser allen Ernstes, sie würden die Gesellschaft aufrütteln, dabei halten sie mich nicht mal während der Vorstellung wach.

 

Das schrieb Sven Behrisch vor einem Monat im „Magazin“. Das Theater, nach dem er sich zurücksehnt, hat Yvette Théraulaz in der französischen Schweiz mitgeprägt. Sie prägte es mit ihren Auftritten auf der Bühne, und ihre Auftritte wurden geprägt von Regisseuren wie Charles Joris, André Steiger, François Rochaix und Martine Paschoud.

 

Daneben war sie ebenso häufig im Film, im Fernsehen und auf der Chansonbühne zu sehen; hier mit eigenen Texten. Mit 44 hatte die Frau schon ein reiches Künstlerleben hinter sich. Beeindruckend deshalb die Vielzahl der Facetten und Einsichten, die sie jetzt im Gespräch ausbreitet. Und noch beeindruckender ist, dass sie nur Wesentliches sagt.

 

Man möchte vermuten, dass der Teufel bei ihrer Karriere die Hand im Spiel hatte. Vor dem Teufel hatte Yvette Théraulaz als Kind Höllenangst. Nachts erschien er ihr als Gespenst. Und tags als Kraft in ihrem Innern, die versuchte, sie auf die Seite des Bösen zu ziehen.

 

Yvette hatte den Bocksbeinigen unablässig vor Augen, denn die Nonnen im katholischen Internat warnten die Mädchen mit mannsgrossen Abbildungen vor seinen Verlockungen. Einmal pro Woche mussten die Schutzbefohlenen zur Beichte. Yvette schaute, dass sie zum Priester kam, der Pfefferminz­pastillen lutschte. Auf diese Weise strich ihr durchs Gitter kein schlechter Atem entgegen.

 

„Die Angst ist heute weg“, sagt die 44-Jährige. „Aber die katholische Erziehung kann ich nicht ablegen. Sie gehört zu meiner Vergangenheit. Und wie schlimm sie auch war – ihr verdanke das Bewusstsein, dass es wichtig ist, sich für die Seite des Guten zu entscheiden.“ Gut ist die Wahrheit, nicht die Lüge. Gut ist die Aufrichtigkeit, nicht die Angeberei. Gut ist die Uner­schrocken­heit, nicht die Feigheit. Gut ist die Authentizität, nicht die Angepasstheit. Mit dieser Haltung bewegte sich die Künstlerin Yvette Théraulaz fortan durchs Leben, durchs Theater, den Film, das Chanson.

 

Zugut kam ihr, dass sie aus einfachsten Verhältnissen stammte. Die katholischen Eltern zogen „als Wirtschaftsflüchtlinge“, wie sie sagt, aus dem mausarmen Kanton Freiburg in den behäbigen protestantischen Kanton Waadt; der Vater, gelernter Käser, kam aus einer Schar von 13, und die Mutter aus einer Schar von 14 Kindern: „Wir waren damals in den Augen der Eingesessenen nichts als Italiener, das heisst billige Arbeitskräfte.“

 

Der Vater verdiente sein Geld in der Milchverarbeitung von Coop. Durch Fleiss und Sparsamkeit gelang es ihm, die Mittel für einen VW-Käfer beiseite­zulegen. Doch als es soweit war, tauchte > Michel Corboz in der elterlichen Wohnung auf: die Tochter sei so begabt, dass sie unbedingt ein Klavier brauche. Infolge dieser Intervention kam kein Auto zur Familie, sondern ein Klavier, und Yvette lernte mit ihm singen und musizieren. Das Ziel ihrer Anstrengungen war klar: die Bühne.

 

Mit 14 begann sie die darstellerische Ausbildung. Am Aufnahmeexamen für die Ecole romande d’art dramatique am Konservatorium Lausanne musste sie ein Gedicht vortragen und eine Pantomime vorführen. Sie spielte, wie Corboz dirigiert, und spürte im Rücken, dass Heiterkeit den Saal eroberte. Von da an fand sie ihren Weg. Das einfache Herkunftsmilieu und die Demütigungen der Kinderzeit bewahrten sie vor Selbstüberschätzung, und bei allem, was sie bei Bühne, Film und Fernsehen erreichte, behielt sie eine realistische Auffassung von sich und ihren Möglichkeiten.

 

Demnach ging der folgende Brief auch nicht an sie:

 

Gnädige Frau, – ich hoffe, Sie werden mir glauben, dass meine Verspätung bei der Beantwortung Ihres Briefes nur daher rührt, dass ich Ihre Hoffnung nicht zerstören wollte. Die Hoffnung ist an sich eine Art von Glück und vielleicht das grösste Glück, das diese Welt zu bieten hat. Aber wie alle anderen Freuden, die man im Übermass geniesst, muss auch das Übermass der Hoffnung durch Schmerz bezahlt werden, und Erwartungen, denen man unangemessen nachgibt, müssen in Enttäu­schung münden. Auf die Frage, was die unangemessene Erwartung ist, die zu hegen gefährlich ist, wird die Erfahrung schnell antworten, dass es eine solche Erwartung ist, die nicht von der Vernunft, sondern von der Begierde diktiert wird; eine Erwartung, die nicht durch die gewöhn­lichen Ereignisse des Lebens, sondern durch die Bedürfnisse des Erwartenden geweckt wird; eine Erwartung, die verlangt, dass der gewöhnliche Lauf der Dinge geändert und die allgemeinen Regeln des Vorgehens gebrochen werden sollen.

 

Ich habe Ihren Sohn heute Morgen gesehen; er scheint ein hübscher Jüngling zu sein; falls er die Universität verpassen sollte, so kann er dennoch weise, nützlich und zufrieden werden. Ich bin, gnädige Frau, Ihr ergebenster Diener,

 

8. Juni 1762.                                                Sam. Johnson.

 

Mit diesen Worten hat, lange vor unserer Zeit, der grosse englische Kritiker erklärt, warum es Yvette Théraulaz vor die Kamera schaffte, und wir nicht. Indes: We may still be wise, useful, and happy, nicht wahr?

 

380 Views
Kommentare
()
Einen neuen Kommentar hinzufügenEine neue Antwort hinzufügen
Ich stimme zu, dass meine Angaben gespeichert und verarbeitet werden dürfen.*
Abbrechen
Antwort abschicken
Kommentar abschicken
Weitere laden
Dialog mit Abwesenden / Réponses aux Plans Fixes 0