Alexandra Calmy: Infektiologin. Eine engagierte Medizin.

30. November 1969 –

 

Aufgenommen am 8. Mai 2022 in Genf.

Alexandra Calmy – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Während der Corona-Jahre 2020/21 wurde Alexandra Calmy, Virologin an der Universität Genf, für die Westschweizer Fernsehkonsumenten das bekannteste Gesicht neben Alain Berset, dem Schweizer Gesundheitsminister. Doch je häufiger sie auf dem Bildschirm erschien, desto rabiater wurde sie angefeindet. „Das verstehe ich noch immer nicht“, sagt die Professorin ein Jahr nach Ablauf der Pandemie. <

 

Als Alexandra Calmy zu Beginn ihres Medizinstudiums mit zwanzig anfing, den Drogensüchtigen Gratis-Spritzen abzugeben, um die Ausbreitung des HI-Virus einzudämmen, machte sie gleichzeitig den ersten Schritt in ihr Fachgebiet. Heute leitet die 53-Jährige an den Genfer Universitätsspitälern die Abteilung HIV/Aids, und sie forscht zur Verbesserung der antiretroviralen Therapien und deren Nebenwirkungen.

 

Im Unterschied zu Corona gibt es gegen Aids keine Impfung. „Das Virus mutiert so häufig“, erklärt Alexandra Calmy. „Bald macht es sich unsichtbar. Dann tritt es unvermutet an Licht, um sich gleich wieder zu verlarven.“ Bei HIV lernte die Medizin, die Vorgehensweise mit den Betroffenen abzustimmen. Und Alexandra Calmy entwickelte einen realistischen Blick für ihre Möglichkeiten: „Ich kann zwar nicht die Welt verbessern. Das übersteigt meine Kräfte. Aber ich kann in konkreten Bereichen den Menschen das Leben erleichtern und einen Beitrag leisten, dass sich das Gute ausbreitet.“

 

Heute versteht sich die Professorin nicht nur als Infektiologin, sondern auch als Staatsbürgerin. Ihr Wirken entfaltet sich in einem politischen Umfeld: „Seuchen sind ein Indikator für soziale Ungleichheit. Die Schwächsten trifft es am stärksten.“ Sogar im Professorenstand brachte Corona Bruchlinien ans Licht: „In den beiden Krisenjahren haben die Frauen weniger publiziert als die Männer. Klar, jemand musste sich im Lockdown um die Kinder kümmern; in der Regel die Mutter.“

 

Während die HIV-Forschung und die Entwicklung von Aids-Therapien zusammen mit den Betroffenen partnerschaftlich verlief, stiess die Wissenschafterin bei Corona zu ihrer Überraschung auf Widerstand, Misstrauen und verschwurbelten Aberglauben. Die Impfung – von allen Aidsopfern herbeigesehnt – wurde bei Covid von selbsternannten Experten schlechtgeredet: „Sogar meine Fusspflegerin, auf ihrem Gebiet gewiss hochkompetent, glaubte besser zu wissen als ich, was ich zu verschreiben hätte.“ Und bei Fernsehdebatten wurde die Expertin immer wieder gefragt, ob sie nicht von der Pharmaindustrie gekauft sei.

 

Bei den Anfeindungen erlebte Alexandra Calmy am eigenen Leib, was die Mutter im Lauf ihrer Karriere durchgemacht hatte: Als Bundesrätin, ja als Bundespräsidentin, war die sozialdemokratische Micheline Calmy-Rey mit ihrem Einsatz für Gleichheit und Gerechtigkeit für die Rechte ein tiefrotes Tuch gewesen. Manchmal telefonierte der Vater: „Lies heute die Zeitungen nicht! Deine Mutter wird wieder schlechtgemacht.“

 

Lebendig, vorurteilslos und offen berichtet Alexandra Calmy von Kindheit und akademischer Karriere. Sie trägt keine Maske. Sie ist fassbar. Damit entspricht sie dem Vorbild des humanen Intellektuellen, der den Partner weiterbringt, sich aber auch selber durch den Austausch weiterbringen lässt. Angesichts der globalen Probleme, sagt sie, werden alle anfangen müssen, die Verantwortung zu schultern. Die Klimakatastrophe wird zu Migrationsströmen führen, zu neuen Seuchen, zu Kriegen und Verteilkämpfen. Abhilfe wird erst das Konzept von „One Health“ bringen, also die Einsicht, dass die Gesundheit unteilbar ist: Die Gesundheit des Planeten bestimmt die Gesundheit der Menschen.

 

Mitten in der Coronakrise schrieb Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 5. Dezember 2020: „Die Rückkehr zur Normalität wird es nicht geben können, weil die Normalität die Ursache der Klimakrise ist. Die Bewältigung der Klimakrise erfordert eine nie dagewesene Solidarität. Es geht um die Umstellung des Lebens, nicht nur, wie bei Corona, für ein paar Monate, sondern für immer – aus Solidarität mit noch Ungeborenen.“

 

Mittlerweile ist Corona vorbei, die Normalität zurückgekehrt, und wir leben weiter wie zuvor: Der CO2-Ausstoss ist so hoch wie noch nie; die Flughäfen melden neue Rekorde; in Deutschland wurden noch nie so viele Gas- und Ölheizungen eingebaut wie in diesem Jahr; und seit das Automobil erfunden wurde, ist noch nie so viel gefahren worden wie jetzt. Ach, es ist das alte Lied: „Er sandte Propheten zu ihnen, dass sie sich bekehren sollten; aber sie nahmen’s nicht zu Ohren.“ (2. Chronik 24, 19)

 

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