Bruno de Kalbermatten: Industrieller.

12. Januar 1924 – 18. Oktober 2019.

 

Aufgenommen am 22. September 1996 in Prilly.

Bruno de Kalbermatten – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Im Gespräch mit Bruno de Kalbermatten erwähnt Bertil Galland ein paarmal dessen „natürliche Autorität“. Sie ist das hervorstechende Merkmal des Industriellen, der fast ein halbes Jahrhundert lang den Weltkonzern Bobst führte. Bei der Aufnahme für die „Plans Fixes“ zeigt der 72-Jährige, woraus sich natürliche Autorität zusammensetzt: aus Ruhe und Unerschütterlichkeit einerseits, aus klaren, schnörkellosen Aussagen andererseits. <

 

Nach dem Porträt, das die „Plans Fixes“ 1996 mit ihm gedreht haben (er ist amtierender Präsident der Bobst-Gruppe, erklärt aber, er wisse schon, wer in einem Jahr seinen Sitz einnehmen werde) wandelt Bruno de Kalbermatten noch weitere 23 Jahre unter den Lebenden und erreicht das Alter von 95 Jahren. Als er 2019 stirbt, erscheinen neun Todesanzeigen. Sie werden aufgegeben von der 

 

– Witwe Josette de Kalbermatten-Bobst, den Kindern, Enkeln und Urenkeln; der

– Direktion, dem Personal und den Pensionierten von Bobst Mex SA, der

– Familienholding JBF Finance SA und dem

– Verwaltungsrat und der Generaldirektion von Nestlé S.A. 

 

Die Angehörigen schreiben, er sei mit der Hoffnung auf Wiederauferstehung friedlich hinübergegangen.

 

Die Bobst Mex SA fasst den Werdegang und die Qualitäten des früheren Chefs zusammen:

 

1998, [zwei Jahre nach der Aufnahme für die „Plans Fixes“] nach einer brillanten Karriere, in der er alle Stufen der Hierarchie erklommen hatte, trat Bruno de Kalbermatten von seinem Amt als Präsident des Verwal­tungs­rats der Bobst-Gruppe zurück.

 

Über vier Jahrzehnte lang hat Bruno de Kalbermatten unsere Gruppe durch seinen visionären Geist, seine menschlichen Qualitäten und seinen Unternehmergeist geprägt.

 

Unter seiner Leitung hat sich unser Unternehmen zu einem internatio­nalen Konzern entwickelt und ist zu einem der weltweit führenden Anbieter von Ausrüstungen und Dienstleistungen für die Verpackungs­industrie geworden. Er hinterliess seinen Nachfolgern ein solides und dynamisches Unternehmen. Seine Begabung zum Zuhören, sein Respekt für andere und seine Fähigkeit, die wahren Probleme zu erkennen und nachhaltige Lösungen zu finden, ermöglichten es ihm, sich in die Lage eines jeden einzelnen zu versetzen. Sein diplomatisches Geschick befähigte ihn, enge Beziehungen zur Schweizer Politik und Wirtschaft zu knüpfen. Er war ein Patron im wahrsten Sinn des Wortes.

 

Wer Bruno de Kalbermatten in den „Plans Fixes“ begegnet ist, kann diese Würdigung nicht übertrieben finden. Er gehörte offensichtlich – wie sein Unternehmen – zu den „Hidden Champions“. Der Begriff geht auf den deutschen Wirtschaftsprofessor Hermann Simon zurück, der unter diesem Titel „die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer“ untersuchte:

 

Die „Hidden Champions“ 

 

– sind kleine und mittelständische Unternehmen;

– beherrschen den Weltmarkt häufig mit Marktanteilen von über 50 %;

– haben Produkte, die oft „unsichtbar“ oder unauffällig sind;

– beweisen eine bemerkenswerte Überlebensfähigkeit;

– haben einen beachtlichen Exortanteil und leisten einen wichtigen Beitrag zur Leistungsbilanz eines Landes;

– sind wahrhaft globale Wettbewerber;

– sind überwiegend Familiengesellschaften;

– sind erfolgreich – jedoch keine Wunder-Firmen. 

 

Von den Strategien und Praktiken der „Hidden Champions“ können sowohl Grossunternehmen als auch mittelständische Firmen lernen, unabhängig von der Branche und dem Standort.

 

Von Bruno de Kalbermatten und der Bobst-Gruppe kann man lernen:

 

Der Führungsstil ist autoritär, zentralisiert, sogar diktatorisch, wenn es um die Grundsätze und die Grundwerte des Unternehmens geht. Wenn einmal entschieden ist, gibt es keine Diskussion mehr über fundament­ale Aspekte, wie z. B. Geschäftszweck, strategische Ziele, Marktschwer­punkte, Qualität oder Service. Diese Grundwerte werden – von oben nach unten – entschieden und angeordnet. Es gibt jedoch ausreichend Spielraum und Beteiligungmöglichkeiten für den einzelnen oder die Gruppe in der Art und Weise, wie diese Prinzipien ausgeführt und umgesetzt werden. Die Mitarbeiter von „Hidden Champions“ sind normalerweise mit weit weniger Regeln und Einzelvorschriften konfrontiert als die Mitarbeiter in Grossunternehmen.

 

Aus der Begegnung mit Bruno de Kalbermatten lässt sich ablesen, was die „Hidden Champions“ charakterisiert:

 

Die Kommunikation innerhalb des Führungsteams erschien uns generell direkt, kurz und schnörkellos.

 

Die Folge der Direktheit ist eine hohe Durchschlagskraft:

 

Ich habe häufig Manager gefragt, wieviel Energie sie verschwenden, um interne Reibungsverluste auf ein Minimum zu reduzieren. Die typische Antwort in Grossunternehmen liegt zwischen 50 und 80 %.

 

Manager in kleinen und mittleren Unternehmen benennen normalerweise eine Bandbreite von 20–30 %.

 

Bei den „Hidden Champions“ rangieren die Prozentsätze bei 10–20 %.

 

Zehn Jahre nach der ersten Untersuchung nimmt sich Hermann Simon die „Hidden Champions“ noch einmal vor und publiziert die Resultate unter dem Titel „Hidden Champions des 21. Jahrhunderts“ im Campus-Verlag. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ ist des Lobes voll:

 

In den letzten zehn Jahren haben diese Unternehmen eine unglaubliche Entwicklung vollzogen: Sie sind mit „chinesischen“ Raten, nämlich mit 9 Prozent pro Jahr gewachsen, und heute 2,3-mal so gross wie Mitte der neunziger Jahre.  

 

Sie haben ihre Marktanteile weltweit gesteigert. Der relative Marktanteil ist von 1,56 1995 auf unglaubliche 2,34 2005 gestiegen. Sie haben massiv innoviert, wobei die Innovationseffektivität etwa fünfmal so hoch ist wie in Grossunternehmen. Sie haben eine Million neue Arbeitsplätze geschaffen. Es sind mehr als 100 neue Milliardenunternehmen entstan­den. Und schliesslich: Aus transatlantischen werden eurasische Unternehmen.

 

Das Geheimnis? Hermann Simon:

 

Tiefe statt Breite ist eine der Grundlagen für den Erfolg der „Hidden Champions“. Die Realisierung dieser Strategie verlangt sowohl eine klare Vision als auch eine bewusste strategische Schwerpunktbildung. Der schwierigste Teil ist, der Versuchung zu widerstehen, hier und dort ein Gelegenheitsgeschäft zu machen. Super-Nischenanbieter könnten oft ein zusätzliches Geschäft auf angrenzenden Gebieten einfahren, besonders wenn das Geschäftsklima günstig ist. Die wahren „Hidden Champions“ widerstehen jedoch dieser Versuchung und bleiben spezialisiert. Sie haben gelernt, dass dies der beste und oft einzige Weg zu wahrer Weltklasse ist.

 

Nicht verwunderlich, gehen die „Hidden Champions“ konsequent vor. Ihre Unternehmenskultur unterscheidet sich diametral von den Staatsverwal­tungen:

 

Hohe Leistung erfordert Intoleranz gegenüber Drückebergerei und die frühe Trennung von Mitarbeitern, die nicht mitziehen. Wie die niedrige Fluktuation zeigt, schätzen dies die verbleibenden Mitarbeiter und bedanken sich mit Hochleistung.

 

Dazu kommt, wieder im Gegensatz zu den Staatsverwaltungen:

 

Es ist für die „Hidden Champions“ eher typisch, dass die Unternehmens­prinzipien nicht schriftlich gefasst sind. Das kennzeichnende Merkmal ist, dass die Werte akzeptiert und gelebt werden.

 

Firmen, die so aufgestellt sind (wie die Manager heutzutage gerne sagen), haben eine geringe Fluktuation. Damit bleibt wertvolles Wissen lange vorhanden und kommt dem Unternehmen zugute. Hermann Simon:

 

Fluktuationsraten von 3–5 % bedeuten eine Unternehmenszugehörigkeit von 20–30 Jahren. Unternehmenszugehörigkeit als solche ist kein Ziel. Es zählt, dass die richtigen Mitarbeiter gehalten werden. Da diejenigen, die nicht passen oder nicht genügend leisten, sehr früh abgestossen werden, wird Unternehmenszugehörigkeit zu einem unschätzbaren Wert. Die „Hidden Champions“ schaffen es, qualifizierte und erfahrene Mitarbeiter für Jahrzehnte – oft lebenslang – auszuwählen, zu entwickeln und zu halten.

 

Hermann Simon zieht das Fazit:

 

Grossunternehmen werden von Wissenschaftlern, Analysten, Aktionären oder Journalisten ständig durchleuchtet. Hingegen wird die Erkenntnis­quelle „Hidden Champions“ kaum beachtet. Als „Hidden Champions“ bezeichne ich wenig bekannte Unternehmen, die im Weltmarkt die Nummer 1, 2 oder 3 sind und weniger als 3 Milliarden Euro umsetzen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es mehr als 1000 mittelständische Weltmarktführer. Sie bleiben hinter einem Schleier von Unsichtbarkeit und bewusster Verschwiegenheit versteckt. Diese Verborgenheit steht in totalem Widerspruch zu den Positionen und der Überlegenheit, die die „Hidden Champions“ in ihren Märkten besitzen. Viele dieser Firmen haben Weltmarktanteile von über 50 Prozent, manchmal sogar 70 oder 90 Prozent. Das sind Marktpositionen, die nur wenige grosse multinationale Unternehmen erreichen. Und viele dieser „Hidden Champions“ des 21. Jahrhunderts hinken im Prozess der Globalisierung nicht hinterher, sondern sind dessen treibende Kräfte.

 

Damit aber aus einem Unternehmen ein mittelständischer Marktführer wird, (die Bobst-Gruppe erreicht unter Bruno de Kalbermatten in Europa einen Marktanteil von 80 %), braucht es an der Spitze einen Patron mit „esprit visionnaire, qualités humaines et esprit d'entrepreneur“, wie die Direktion, das Personal und die Pensionierten der Bobst Mex SA vor vier Jahren in der Würdigung ihres dahingegangenen Chefs festhielten.

 

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