Patrick Aebischer: Arzt und Professor der Neurologie. Die Marke EPFL.

22. Februar 1954 –

 

Aufgenommen am 18. September 2021 in Lausanne.

Patrick Aebischer – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> In seiner Präsidentschaft zwischen 2000 und 2016 hat Patrick Aebischer die Eidgenössische Technische Hochschule ETH Lausanne nach vorn gebracht. Die Zahl der Studenten stieg von 4’500 auf über 10’000, die Zahl der Doktoranden von 700 auf fast 2’100 und die der Postdoktoranden von 100 auf 825. Gleichzeitig verbesserte sich die Position auf dem Shanghai-Ranking von 104 (2004) auf 70 (2015). Dabei war Aebischer weder Ingenieur noch Betriebsökonom, sondern bloss Arzt und Neurowissenschafter. Verständlich, dass Professoren, Studenten und Unternehmer gegen seine Wahl Sturm liefen. <

 

Patrick Aebischer versichert im Film der „Plans Fixes“ glaubhaft, dass er das Präsidium der ETH Lausanne nicht angestrebt habe, nicht einmal im Traum. Er war glücklich am kantonalen Universitätsspital Lausanne CHUV. Dort leitete er als Professor – in Zusammenarbeit mit dreissig bis vierzig jungen, hochmotivierten Ärzten und Wissenschaftern aus aller Welt – das Zentrum für Gentherapie

 

Als ihm die Leitung der ETH Lausanne vorgeschlagen wurde, dachte er zuerst an einen Witz. Aber die Strippenzieher meinten es ernst: François Waldvogel, der Präsident des Schweizerischen ETH-Rats, und Charles Kleiber, der eidgenössische Staatssekretär für Bildung und Forschung. Um sie von ihrem Vorhaben abzubringen, formulierte Patrick Aebischer eine „Vision“. (Das Wort hatte schon damals Konjunktur, unbeschadet des bissigen Bonmots von Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, braucht einen Arzt.“)

 

Dabei ging es Aebischer in Kürze um folgendes: Die ETH Lausanne ist an sich „gut unterwegs“. Doch jetzt muss sie sich von einer guten zu einer sehr guten Universität „entwickeln“. Das geht nur, wenn sie sich „neu ausrichtet“. International sowieso, aber neu mit „Fokussierung“ auf Life Sciences. Da der Präsident die gesamte Hochschule im Blick haben muss, ist dafür ein eigener Vizepräsident zu wählen. Ausserdem sind die 13 Departemente zu Fakultäten umzuschmelzen, um die „Trans- und Interdisziplinarität“ zu erhöhen.

 

„Ich hoffte, damit den Bogen zu überspannen, denn ich war glücklich an meinem Universitätsinstitut“, erklärt Patrick Aebischer. „Stattdessen aber wurde ich aufgefordert, eine formelle Bewerbung einzureichen. Ich schrieb nur den einen Satz: ‚Im Fall, dass ich das Präsidium der ETH Lausanne zugesprochen erhalte, werde ich mich der Wahl nicht entziehen.’ Sie sehen, dass ich mich um das Amt nicht gerissen habe.“

 

Die „Vision“ jedoch ging durch – bei François Waldvogel, dem Präsidenten des Schweizerischen ETH-Rats, und bei Charles Kleiber, dem eidgenössischen Staatssekretär für Bildung und Forschung. Patrick Aebischer fand auch wohlwollendes Gehör bei der schweizerischen Innenministerin > Ruth Dreifuss.

 

Aber auf dem Terrain, da sah es anders aus: 12 der 13 Departemente verlangten seine Abwahl. Die Studenten protestierten zu Hunderten gegen ihn. Die Unternehmer forderten seinen Rücktritt. Der ETH-Rat verweigerte die Wahl des Vizepräsidenten für Life Sciences. „Ich aber blieb hart“, erzählt Patrick Aebischer. „Das Konzept war ja durchgegangen. Sonst hätte ich mich nicht beworben. Für den schlimmsten Fall war ich bereit, in den USA neu anzufangen. Das hatte ich schon mit meiner Frau abgesprochen.“

 

An der Sitzung vom 25. Februar 2000 erklärte er: „Wenn Sie den Vize­präsidenten nicht wählen, trete ich am 1. März mein Amt nicht an.“ Man glaubte ihm nicht: „Sie bluffen!“ Doch Patrick Aebischer meinte es ernst. Darum brachte es die ETH Lausanne am 1. März durch ihn in die Hauptausgabe der Tagesschau und in alle Medien: Der neue Präsident war nicht zur Arbeit erschienen.

 

Es ging um Biegen oder Brechen: „Ça passe ou ça casse“. Am 18. März – sinnigerweise dem St. Patrick’s Day – war die Situation in seinem Sinn bereinigt, und Patrick Aebischer betrat erstmals das Büro. Es war leer. Als erstes musste er mit der Sekretärin eine mechanische Schreibmaschine auftreiben, um Bundesrätin Dreifuss den Satz zu faxen, er habe soeben die Arbeit aufgenommen.

 

Mit diesem ersten, entscheidenden Schritt begann die segensreiche Verwandlung der ETH Lausanne. Die 13 Departementsbibliotheken mit ihren unterschiedlichen Öffnungszeiten verschmolzen miteinander im neugebauten Rolex Learning Center. Dort konnten die Bücher und Medien jetzt von sieben Uhr früh bis Mitternacht ausgeliehen werden. Patrick Aebischer: „Als ich kam, war der Campus abends verwaist. Jetzt lebt er. Ich habe dafür gesorgt, dass wir Studentenwohnungen auf ihm einrichteten.“

 

Aebischers Ziel war es, die besten Professoren (welche wiederum die besten Studenten anlocken, welche wiederum die besten Dissertationen schreiben) an einem Ort leben, lehren und forschen zu lassen, der sie beschwingt: „So wie man in Harvard oder am MIT stolz ist, dort zu arbeiten, soll man auch auf Lausanne stolz sein!“

 

Heute erfüllt der Standort am See, an dem man nur hinüberzuspazieren braucht, um auf den Campus der Universität zu kommen, in der Sprache der themenzentrierten Interaktion die Forderungen an einen guten „Globe“: Das Gelände beflügelt durch Schönheit, regt an durch vielfältige Möglichkeiten zu Rückzug und Kontakt und gibt durch das Label Exzellenz („die Marke EPFL“) Orientierung für die Arbeit.

 

Patrick Aebischer: „Professoren gehören zur seltenen Sorte Menschen, die nicht in erster Linie am Verdienst interessiert sind, sondern an der Erkenntnis und an der Lösung von Problemen. Sie sind zufrieden, wenn sie an einem Ort arbeiten können, an dem es ihnen wohl ist und an dem die Kinder gut aufwachsen können. In Lausanne stellt ihnen der Steuerzahler beträchtliche Mittel zur Verfügung. Sie haben bei ihrer Arbeit die totale Freiheit. Erwartet aber wird, dass sie dafür höchste Qualität zurückgeben. Darum bin ich für die Meritokratie: Förderung der Besten. Etwas anderes wäre gegenüber der Gesellschaft nicht zu rechtfertigen.“

 

Da die Technik darauf angewiesen ist, dass der Mensch formuliert, in welche Richtung sie gehen soll, verlangt Patrick Aebischer einen geisteswissenschaft­lichen Anteil von zehn Prozent an der Ausbildung zum Ingenieur. Sein Vermächtnis, abgelegt in den „Plans Fixes“, ist bis heute nicht überholt.

 

Es gilt also auch hier, was bei so vielen andern menschlichen Unternehmungen gilt, dass nur das Interesse mehrerer auf einen Punkt gerichtet etwas Vorzügliches hervorzubringen imstande sei.

 

Durchaus aber bleibt ein Hauptkennzeichen, woran das Wahre vom Blendwerk am sichersten zu unterscheiden ist: jenes wirkt immer fruchtbar und begünstigt den, der es besitzt und hegt; dahingegen das Falsche an und für sich tot und fruchtlos daliegt, ja sogar wie eine Nekrose anzusehen ist, wo der absterbende Teil den lebendigen hindert, die Heilung zu vollbringen.

 

Man hat daher in wissenschaftlichen Dingen gerade das Gegenteil von dem zu tun, was der Künstler rätlich findet: denn er tut wohl, sein Kunstwerk nicht öffentlich sehen zu lassen, bis es vollendet ist, weil ihm nicht leicht jemand raten noch Beistand leisten kann. In wissenschaftli­chen Dingen hingegen ist es schon nützlich, jede einzelne Erfahrung, ja Vermutung öffentlich mitzuteilen; und es ist höchst rätlich, ein wissen­schaft­liches Gebäude nicht eher aufzuführen, bis der Plan dazu und die Materialien allgemein bekannt, beurteilt und ausgewählt sind.

 

(Johann Wolfgang von Goethe.)

 

Die Weisheit der Alten.

 

198 Views
Kommentare
()
Einen neuen Kommentar hinzufügenEine neue Antwort hinzufügen
Ich stimme zu, dass meine Angaben gespeichert und verarbeitet werden dürfen.*
Abbrechen
Antwort abschicken
Kommentar abschicken
Weitere laden
Dialog mit Abwesenden / Réponses aux Plans Fixes 0