Bernard Attinger: Erinnerungen eines Architekten.
  1. 2. November 1942 –

 

Aufgenommen am 13. Dezember 2019 in Sierre.

Bernard Attinger – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Die Kamera der „Plans Fixes“ besucht den 77-jährigen Bernard Attinger, der sich seinerzeit einen Namen als Walliser Kantonsarchitekt gemacht hat. Im Gespräch über seine Tätigkeit – sie reichte von 1978 bis 2007 – tritt zutage, in welchem Mass er half, das Wallis vom Mittelalter in die Neuzeit zu bringen. <

 

Zum Abschluss des 20. Jahrhunderts versammelte der Direktor der Walliser Mediathek Jean-Henri Papilloud hundert Fotos – für jedes Jahr eine. Der eindrückliche Band trägt den Titel: „Images d’un siècle“. Die Aufnahmen dokumentieren, wie zäh der Bergkanton am Althergebrachten festhielt. Sitten und Bräuche blieben lebendig, die anderswo längst ausgestorben waren. Unsitten auch. Darum sagte der Volksmund zur Zeit der Postkutschen: „Die Walliser sind hundert Jahre später aufgestanden als die äusseren Kantone.“ (Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Leipzig 1867 ff.)

 

Dann platzte 1977 der Savro-Skandal. Der Besitzer des gleichnamigen Walliser Bauunternehmens wurde der Korruption angeklagt. Zusammen mit Behördenvertretern und Gesinnungsfreunden aus der Walliser Mehrheits­partei CVP (heute „die Mitte“) hatte er den Kanton um 3,5 Millionen Franken betrogen. Liliane Varone, die erste Walliser Berufsjournalistin, veröffentlichte die Ermittlungsschritte und trug auf Radio Suisse Romande zu ihrer Verbreitung bei. Das brachte ihr den Vorwurf der „Nestbeschmutzung“ ein. Die 13-jährige Tochter wurde bedroht und musste polizeilich geschützt werden.

 

Im Skandaljahr, das zur Verurteilung des Bauunternehmers, des Dienstchefs des Amts für Strassenunterhalt und des Chefs der Verkehrspolizei zu je acht Jahren Haft führte, ging der Walliser Kantonsarchitekt in Pension. „Altershalber“, betont sein Nachfolger im Gespräch mit Liliane Varone.

 

Der Vorgänger war noch ein Vertreter des alten Regimes gewesen. Er hatte sich jeweils im Dienstwagen zu den Besprechungen chauffieren lassen und die Termine vorzugsweise auf elf Uhr gelegt, damit er nachher zum Mittagessen eingeladen wurde. Man kann sich vorstellen, wie kameradschaftlichen es im Gasthofstübli zwischen dem obersten Vertreter der kantonalen Baubehörde, den Bauherren, Gemeindevätern, Architekten, Ingenieuren und Bauunternehmern zuging.

 

Das Pensum des Kantonsarchitekten betrug siebzig Prozent. Daneben betrieb er ein privates Büro. In ihm landeten die interessanten Projekte. Den Rest verteilte er an die Freunde, „nach dem Milchbüchlein“, erklärt Bernard Attinger: „Die und die sind schon drangewesen; jetzt kommt also der an die Reihe ...“

 

Nach dem Savro-Skandal war es jedoch mit dem Brauch vorbei. Das erlaubte es dem frischgewählten Kantonsarchitekten, neue Saiten aufzuziehen. Bernard Attinger brachte es durch, dass bei allen Bauvorhaben, in die öffentliche Gelder impliziert waren, ein Wettbewerb ausgeschrieben werden musste, und zwar nach den Regeln des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA.

 

Bald traten die Folgen der neuen Praxis als Licht: Bei den hundert Wettbewerben, die Bernard Attinger durchgeführt hat, kamen unversehens auch ausserkantonale und junge Architekten zum Zug. Die Qualität der Projekte verbesserte sich. Der „Chalet-Kitsch“, das Krebsübel der grossen Skiorte (Attinger), wurde eingedämmt. Die Jungen begannen nach dem Architekturstudium, in den Kanton zurückzukehren, weil sie sahen, dass sie hier eine Chance hatten.

 

Bernard Attinger achte darauf, die Jurys mit Fachleuten zu besetzen, die sich verständlich machen konnten, damit einvernehmliche Entscheidungen zustandekamen. Gemäss Reglement besteht nämlich die Hälfte der Mitglieder eines Baugremiums aus Laien. Gelingt es den Experten, die Laien zu überzeugen, hebt sich mit der Zeit das Qualitätsbewusstsein in der Bevölkerung. Mit dieser Vorgehensweise konnte Attinger die alten, frustrierten Architekten abblitzen lassen: „Dein Projekt war halt nicht gut genug.“

 

„Ich vergleiche die Architektur gern mit der Oper“, erklärt der 77-Jährige. „Eine Oper entsteht aus der Zusammenarbeit eines Schriftstellers mit einem Komponisten. Dann tritt ein Regisseur dazu; ein Kostüm-, ein Bühnenbildner; ein Dirigent; ein Chorleiter. Zusammen bringen sie das Werk heraus. Von ihnen sollte der Architekt lernen. Er ist viel zu einsam.“

 

Lernen kann man von Bernard Attinger auch, dass man sich nicht korrumpieren lassen darf. Spielchen werden überall betrieben. Aber wer das Glück hat, vom Chef gedeckt zu werden, braucht den geraden Weg nicht zu verlassen. Er braucht lediglich ab und zu Durchhaltekraft.

 

Als er die Renovation der Basilika von Valeria in Sitten leitete, kam zum Vorschein, dass die Kirche in der Westseite ursprünglich eine Fensterrose aufgewiesen hatte. Bernard Attinger ordnete an, sie freizulegen. Doch der eidgenössische Denkmalpfleger stellte sich quer. Bernard Attinger hatte die Geduld, 18 Jahre zu warten, bis der Mann in Pension ging; dann brachte er das Anliegen durch. „Der einzige Schaden, der entstand, war, dass man die Postkarten neu drucken musste.“

 

Zur Zeit der Postkutschen sagte der Volksmund:„Der Walliser braucht vor allem vier Dinge: Ein gutes Glas Wein, eine Pfeife guten Tabak, eine schöne Kirche und ein hübsches Mädchen.“ Hat er dazu noch einen integren Kantons­architekten, ist es mit dem Mittelalter vorbei.

 

160 Views
Kommentare
()
Einen neuen Kommentar hinzufügenEine neue Antwort hinzufügen
Ich stimme zu, dass meine Angaben gespeichert und verarbeitet werden dürfen.*
Abbrechen
Antwort abschicken
Kommentar abschicken
Weitere laden
Dialog mit Abwesenden / Réponses aux Plans Fixes 0