Alberto Camenzind: Architekt.

7. Juni 1914 – 29. September 2004.

 

Aufgenommen am 12. Juli 1987 in Astano.

Alberto Camenzind – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Leider kommt Alberto Camenzind nicht zu einer Erklärung, warum er 1965 Architekturprofessor an der ETH Zürich wurde. Wenn man ihn reden hört, merkt man bloss: Er hatte das Zeug dazu. Als Tessiner, der sowohl den Dialekt der Leventina als auch das klassische Italienisch spricht, kann er seine Gedanken auf Französisch druckreif formulieren. Die Ausführungen bringen kein Wischiwaschi, sondern den Kern der Sache. Das macht den guten Lehrer aus. <

 

Alberto Camenzind, der Prominente vor, und > Nag Ansorge, der Tontechniker hinter der Kamera, sind im gleichen Milieu aufgewachsen. Die Eltern führten ein Luxushotel, und die Söhne erlebten von Kindesbeinen an Internationalität; der eine in Lugano, der andere in Lausanne. Beide sprechen von ihrer Kindheit mit Dankbarkeit und Begeisterung: „Ich wünsche jedem eine solche Jugend!“ (Alberto Camenzind).

 

Der spätere ETH-Professor erzählt, wie ihn als kleiner Bub die Baustellen faszinierten: „Von ihnen brachte man mich fast nicht weg.“ Später, als das Hotel um ein Stockwerk erhöht wurde, trat der Architekt in sein Blickfeld. Er kam zwar nur gelegentlich vorbei, verkörperte aber die Vielfalt der Aufgaben. Alberto erlebte, wie Pläne und Zeichnungen Gespräche veranlassten über die Form, die Farbe und Materialität der Räume und über die Abläufe der Tätigkeiten auf der Baustelle und im fertigen Haus.

 

Schon begann jedoch die Weltgeschichte, die Werdegänge mitzuprägen. Das Italien des Duce war den Tessinern ein Graus: „Die italienische Kultur haben wir immer bewundert. Die italienische Politik nie.“ Die Universitäten von Mailand, Florenz, Bologna und Rom kamen auf einmal nicht mehr als Studienort in Frage.

 

Die jungen italienisch sprechenden Eidgenossen schrieben sich jetzt in der Deutschschweiz ein; für Architektur und Ingenieurfächer an der ETH Zürich, damals noch Polytechnikum; für Medizin und Recht an den Universitäten von Bern und Zürich; und für Theologie und Geisteswissenschaften an der Universität Freiburg i. Ü. (gegründet in der Zeit des Kulturkampfs als Bollwerk des Katholizismus).

 

Im Aktivdienst kam Alberto Camenzind ans Ufer des Genfersees, in die Militärbaracken von Vidy, und lernte mitten im Krieg eine landschaftliche Idylle kennen. Diese Erfahrung kam ihm zugut, als er für die Neugestaltung des Seeufers unterhalb von Lausanne die Jury leitete. Seine Kompetenz empfahl ihn daraufhin ins Dreiergremium für die schweizerische Landesausstellung von 1964, die Expo Lausanne, deren Architekt er wurde. Warum er ein Jahr später Architekturprofessor an der ETH Zürich wurde, ist offensichtlich so folgerichtig, dass der Schritt in den „Plans Fixes“ nicht thematisiert wird.

 

Die Qualität des neugeschaffenen Vidy leitet sich von der Qualität der Tessiner Bauweise ab. „Jedes Tessiner Dorf hat einen urbanen Charakter“, erklärt Alberto Camenzind. „Die Fasslichkeit der Räume gibt ihnen etwas Wohnliches, in dem man sich wohl fühlt. Die Strassen sind Korridore, die Plätze Zimmer. Hier besteht die Architektur nicht nur aus der Organisation von Formen und Volumen, sondern schafft eine Atmosphäre, die Geist und Seele erhebt.“

 

Aber so, wie bei den Kleidern die Konfektionsware das Massgeschneiderte abgelöst hat, ist heute der qualitätsvolle Einzelbau, der die historischen Städte kennzeichnet, durch die Investorenarchitektur der Agglomerationen verdrängt worden. Perlen, sagt Camenzind, seien nur noch in Nischen zu finden.

 

Nicolás Gómez Dávila hat über die Phänomene nachgedacht und kam zum Schluss: „Dinge von höchstem Adel existieren, weil einige Menschen überflüssige Dinge nicht verachten.“ Im übrigen aber, meinte der kolumbianische Selberdenker: „Heute gibt es weder Oberschicht noch Volk; nur arme Plebs und reiche Plebs.“ Das sieht man auch an den Bauten. Aber da stehen wir nun: „Ab einem gewissen Punkt wird der industrielle Fortschritt von der Notwendigkeit vorangetrieben, die wachsenden Probleme zu lösen, die er verursacht.“

 

In diesem Kontext sind Alberto Camenzinds Ausführungen zur Architektur noch aktueller als im Jahr 1987, wo sein Porträt entstand.

 

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