Fernand Auberjonois: Journalist, Schriftsteller.

25. September 1910 – 27. August 2004.

 

Aufgenommen am 29. Februar 1996 in Lausanne.

Fernand Auberjonois – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Acht Jahre nach der Aufnahme für die „Plans Fixes“ erlag Fernand Auberjonois mit 94 Jahren einem Herzinfarkt. In ihrem Nachruf vom 28. August 2004 zitierte die „Pittsburg Post-Gazette“ (Pennsylvania) den Leiter des Londoner Büros des „Time Magazine“ von 1968 bis 1973, Curt Prendergast: „Fernand war sehr beliebt und hoch angesehen. Niemand hätte charmanter sein können.“ Das Urteil hat die Zeit überdauert. Heute steht in der englischsprachigen Wikipedia: „Auberjonois gehörte zu den am meisten bewunderten amerikanischen Reportern in London.“ Dabei war er ursprüng­lich Waadtländer. <

 

Fernand Auberjonois wuchs in einem Künstlerhaushalt auf. Der Vater, der Maler René Auberjonois, zog die Waadtländer Künstler an, Musiker, Schrift­steller, Intellektuelle. „Ces Messieurs“ versammelten sich unterhalb des Lausanner Bahnhofs in der kleinen Wohnung am Boulevard de Grancy. Paul Valéry kam vorbei. Igor Strawinsky spielte die Stücke vor, mit denen er in Paris zum Star geworden war: „L'Oiseau de feu“ und „Le Sacre du printemps“.

 

Der siebenjährige Fernand Auberjonois war fasziniert vom Wodkaglas, das auf dem Klavierdeckel stand. Es bewegte sich der Kante zu, während Strawinsky in die Tasten hämmerte. Doch just bevor es herunterfiel, fing es die Hand des Musikers auf und führte es zum Mund.

 

Strawinsky fürchtete sich, nachts die Bahn zu benützen. Wenn es spät zu werden drohte, wurde ihm deshalb Fernands Bett im Kinderzimmer angeboten, und der Bub legte sich im Wohnzimmer aufs Kanapee. Dort begleiteten ihn die Klänge der Avantgarde ins Reich der Träume. „Aus diesem Grund hat mich später die moderne Musik nie abgestossen“, erklärt der 86-Jährige in seinem Porträt für die „Plans Fixes“.

 

Zu den Gästen gehörten Edmond Gilliard und Paul Budry, die Gründer der „Cahiers vaudois“. „Man sagt, sie hätten ihre Haltung kultiviert“, bemerkte Bertil Galland in der Aufnahme mit > Anne Ansermet, der Tochter des Dirigenten. „Ja. Sie waren von sich überzeugt, hatten aber einen bitteren Zug um den Mund.“

 

Gegen das Ende des Ersten Weltkriegs schufen „ces Messieurs“ ein Werk, das seither aus dem Repertoire nicht mehr wegzudenken ist: „L'Histoire du soldat“. Igor Strawinsky schrieb die Musik, Charles Ferdinand Ramuz das Libretto; René Auberjonois schuf das Bühnenbild; Ernest Ansermet dirigierte; Georges Pitoëff entwarf die Choreogaphie.

 

Jahre später übermittelte Ernest Ansermet seinem Schüler Jean-Marie Auberson ein paar handschriftliche Ratschläge zum Interpretieren der „Histoire“:

 

Verwirren Sie die Musiker nicht, indem Sie um jeden Preis jeden Takt schlagen. Lassen Sie sie machen; geben Sie ihnen nur den nötigen Schwung, und alle Elemente werden sich leicht zusammenfügen ... und denken Sie daran, dass wir nicht hier sind, um uns zur Schau zu stellen!

 

In der Partitur der „Geschichte vom Soldaten“ halten Sie Ihren Taktstock mit der ganzen Hand! Sonst haben Sie ein zu lockeres Handgelenk und erreichen nicht alle Akzente, die Strawinsky sich wünscht. Sie müssen steif sein, steif!

 

Es ist ganz einfach; man sollte dem Zuhörer immer den Eindruck vermitteln, dass das, was man dirigiert, nicht schwer ist!

 

Der Librettist und der Bühnenbildner, Ramuz und Auberjonois, entschlossen sich in der Folge, zwei aneinander­liegende Liegenschaften kaufen. Sie glaubten, dass Nähe die Freundschaft verstärke. Der Sohn ging gern zum Dichter hinüber und behielt auch Zugang bei ihm, als sich die Grossen nach kurzer Zeit tödlich verfeindeten: „Wegen einer gemeinsamen Mauer, stellen Sie sich vor!“, ruft Fernand. „Nun verwendeten mich die beiden als Überbringer ihrer Giftpfeile. Wenn ich von Ramuz zurückkam, fragte mein Vater: ‚Was macht der alte Verrückte?‘ Und Ramuz erkundigte sich: ‚Wie geht es Ihrem Vater? Schlecht, hoffe ich.‘“

 

Ausserhalb des Streits von „ces Messieurs“ blieb der Erzähler der „Histoire“, Elie Gagnebin. Bis zu seinem Tod im Alter von 58 Jahren wirkte er zwischen 1933 und 1949 als Professor für Paläontologie und Geologie an der Universität Lausanne. „Er war ein hervorragender Redner und Wissenschaftsvermittler“, erklärt das Historische Lexikon der Schweiz; „dazu auch Schauspieler, Philosoph, Literat und Musikkritiker. Als Förderer und Mäzen spielte er eine wichtige Rolle im Kulturleben der Westschweiz und war mit Jean Cocteau, Charles Ferdinand Ramuz, Ernest Ansermet, Igor Strawinsky und Igor Markevitch befreundet.“

 

Elie Gagnebin überzeugte Vater und Sohn Auberjonois, Geologie sei das richtige Studium, um in den USA Arbeit zu finden. Denn Fernand träumte vom Auswandern. Doch als er in New York eintraf, herrschte Krise. Auf den texanischen Ölfeldern wurde niemand gebraucht. Der junge Waadtländer brachte sich mit kellnern durch. Mangels Arbeitserlaubnis war das illegal. Da führte ihn die Tatsache, dass er für einen ausländischen Arbeitgeber keine Erlaubnis nötig hatte, auf den Gedanken, bei der Agence Havas (der späteren Agence France Presse) vorzusprechen. Bei ihr erhielt den Job, die kulturellen Berühmtheiten zu interviewen, die Amerika besuchten.

 

Fernand Auberjonois führte Igor Strawinsky  durch die Stadt und wies ihn auf die Spitze des Chrysler-Buildings hin. Doch die Äusserung des Komponisten war für den Druck nicht geeignet. Beim Anblick der bewegten Lichter rief er nämlich begeistert: „Was für ein Orgasmus!“ (Quel orgasme!)

 

Auch Le Corbusiers Reaktion brachte den Journalisten in Verlegenheit. Aufs Empire State Building geführt, stellte der Stararchitekt trocken fest: „Die Hochhäuser sind zu hoch.“ Um eine Erklärung gebeten, führte er aus, Hochhäuser bräuchten Platz. Sonst entstünden Canyons, die den Menschen vernichteten. In der guten Architektur aber sei der Mensch das Mass aller Dinge.

 

Fernand Auberjonois wechselte nun zum Radiojournalismus bei der National Broadcasting Corporation NBC. Er nahm die amerikanische Staatsbürger­schaft an. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde er bei der Voice of America verantwortlich für die französischsprachigen Sendungen. In der letzten Phase des Kriegs kam er als Verbindungsoffizier zu den amerikanischen Befreiungstruppen in Afrika und der Normandie.

 

Nach dem Einmarsch in Paris nahm ihn der Chefredaktor der Nouvelle Revue Française, Jean Paulhan, ans erste Schriftstellertreffen mit. Es ging um die Abrechnung mit den Kollaborateuren. „Bei dieser französischen Angelegen­heit zählt meine Meinung nicht“, widersetzte sich Fernand Auberjonois. Doch Paulhan insistierte: „Ihre amerikanische Uniform wird die Leute durchein­ander­bringen!“ „So war er“, erklärt der 86-Jährige: „Immer an der Intrige interessiert.“

 

Die Gelassenheit, mit der Fernand Auberjonois all das Vergangene erzählt, bestätigt die Charakterisierung durch den früheren Londoner Korrespon­denten der New York Times, R.W. „Johnny“ Apple Jr.: „In seiner grossartigen Weise war er der wundervollste, liebenswürdige Auslandkorrespondent (the most wonderfully debonair foreign correspondent).“ R.I.P.

 

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