Jacques Pache: Musiker.

19. Dezember 1932 –

 

Aufgenommen am 9. September 1993 in Lausanne.

Jacques Pache – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Vierzig Jahre lang stand Jacques Pache vor Schülern – als Lehrer, als Chorleiter. So ergibt es sich, dass der Film mit ihm zur Lektion wird für das, was er als Ziel des Unterrichtens bezeichnet: Offenbarungen geben (révélations). In jeder Stunde muss dem Schüler etwas aufgehen. Was das bedeutet, erlebt der Zuschauer der „Plans Fixes“. Die Persönlichkeit des Lehrers setzt mit ihrem Schwung das Gegenüber in Bewegung und vermittelt Einsicht, Freude und Mut. „Man lehrt nicht, was man weiss, sondern was man ist“, sagt Jacques Pache und verwirklicht das Ideal des Lehrers als Vorbild. < 

 

Dieses Wochenende meldet die SRF News App:

 

Viele Kinder heute spielen zu wenig.

 

Kinder spielen nicht mehr altersgerecht. Das bestätigt auch Lehrperson Sandra Hürlimann: „Viele Kinder spielen noch wie 2- und 3-Jährige, wenn sie in den Kindergarten kommen. Sie räumen aus und sortieren.“ Das sei ja nichts Schlechtes, aber sie erwarte von den Kindern in diesem Alter, dass sie schon weiter seien in ihrer Spielentwicklung.

 

Immer mehr Lehrpersonen im Kindergarten sehen heute, dass schon kleine Kinder wenig Berührung mit dem sogenannten Funktionsspiel haben. Also zum Beispiel sensorische Erfahrungen mit Hand und Mund machen dürfen, weil die (über)behütenden Eltern nicht wollen, dass sie schmutzig, krank oder beides werden.

 

„Ich wett mich nöd dräckig mache. Sus sind s Mami und de Papi verruckt.“ Eines der Kinder ist besorgt, dass die Finken oder der Pulli dreckig werden beim Spielen. Deshalb schaut es den anderen beim Spielen zu und traut sich nicht, sich zwischen die Blumenerde und die Kresse-Samen zu setzen.

 

Wie anders ging es in Jacques Paches Jugend zu! Mit Wärme spricht er von den ländlichen Verhältnissen im Broyetal. Noch bevor er zur Schule ging, kam er zum Viehhüten auf die Weide. Es gab keine Zäune. Die Kinder mussten schauen, dass sich die Kühe nicht verliefen. Die Natur war ein Raum der Freiheit. Hier lernten die Kinder Feuer machen. Sie lernten mit dem Messer umgehen. Sie schnitzten Kastagnetten. „Niemand hatte uns das gezeigt. Wir lernten das Klappern von selbst.“

 

Heute stellt das Schweizer Fernsehen fest:

 

Wem diese Erfahrung des Ausprobierens fehlt, wird dies ein Leben lang spüren. Auch die Lehrpersonen spüren diese zunehmende Ängstlichkeit in der Gesellschaft: „Wenn wir mit den Kindern Früchte schneiden, dann sagen einige, dass sie noch nie ein Rüstmesser in der Hand hatten. Wir aber machen das im Kindergarten. Ich denke, dass die Behütung im Vergleich zu früher zugenommen hat“, so Lea Burri.

 

Den „Vergleich zu früher“ ermöglichen „Lebensgeschichte und natürliche Abenteuer des armen Mannes im Toggenburg“. Der Ostschweizer Bauer Ulrich Bräker veröffentlichte seine Erinnerungen 1789 bei Orell, Gessner, Füssli und Co. in Zürich:

 

Im Sommer sprang ich in der Wiese und an den Bächen herum, riss Kräuter und Blumen ab und machte Sträusse wie Besen; dann durch alles Gebüsch, den Vögeln nach, kletterte auf die Bäume und sucht’ Nester. Oder ich las ganze Haufen Schneckenhäuslein oder hübsche Stein’ zusammen. War ich dann müde, so setzt’ ich mich an die Sonne und schnitzt’ zuerst Hagstecken, dann Vögel und zuletzt gar Kühe; denen gab ich Namen, zäunt’ ihnen eine Weid’ ein, baut’ ihnen Ställe und fütterte sie. Ein andermal richtete ich Öfen und Feuerherd auf und kochte aus Sand und Lett [Lehm] einen sauberen Brei.

 

Ulrich Bräker machte als Kind lauter Funktionsspiele – also sensorische Erfahrungen mit Hand und Mund:

 

Welche Lust, bei angenehmen Sommertagen über die Hügel zu fahren – durch Schattenwälder streichen – durchs Gebüsch Eichhörnchen jagen und Vogelnester ausnehmen. Alle Mittag’ lagerten die Herde und ich am Bach; da ruhten meine Geissen zwei bis drei Stunden aus, wenn es heiss war, noch mehr. Ich ass mein Mittagbrot, sog mein Geisschen, badete im spiegelhellen Wasser und spielte mit den jungen Gitzen. Wenn ich meinen Geissen Leck, Leck! rufte, dann ging’s im Galopp und wurd’ ich von ihnen wie eingemau’rt. Alles Laub und Kräuter, die sie frassen, kostete auch ich, und einige schmeckten mir sehr gut.

 

„Wie traurig waren mein Bruder und ich, als wir das Land verliessen und nach Aubonne zogen!“, erzählt Jacques Pache der Kamera. Aber schon hatten die ersten Jahre seine Fähigkeit geprägt, die Welt mit allen Sinnen aufzunehmen. Darum wurde ihm jetzt sogar die Schule zum Erlebnis. Ein Lehrer pflegte wie ein Wirbelwind das Zimmer zu betreten. Wenn er erklärte: „Ich nehme das Konzept ‚Apfel’!“, dann sah Jacques die Frucht augenblicklich vor sich und schmeckte deren Aroma auf der Zunge.

 

Mit der gleichen Sinnlichkeit erfuhr er die Musik. Sie war nicht auf passiv wahrgenommenes Einsickern beschränkt, sondern entstand aus der Bewegung des Körpers. Jacques Pache genoss sie beim Ziehen des Bogens über die Cellosaiten und in der Kombination von Atemstrom und Stimmbändern beim Singen. Dazu passt die Lehre, die Professor Jacques Wüthrich seinerzeit den Architekturstudenten beim Zeichenunterricht mitgab: „Wenn der Stift übers Papier fährt, muss es zischen!“ Auf diese Weise lernten die jungen Leute, aus sich herauszukommen und die Befangenheit abzu­legen.

 

Die künstlerische Tätigkeit aus freier Seele bildete den Kern von Jacques Paches Unterricht. Wenn er davon erzählt, wird man mitgerissen. Und man lernt an seinem Beispiel, das es keine grossen und kleinen Gegenstände gibt, sondern nur lebendige und tote. Demgemäss schrieb Jacob Burckhardt an Jacob Oeri:

 

Wer frisch bleiben soll, der bleibt es auch mit Hilfe von Pflichterfüllung und guten Büchern in einer kleinen Stadt, und wer versauern soll, der versauert auch in Berlin und in Paris.

 

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