Eric Rochat: Arzt und alt Ständerat. „Es gibt nur Freiheit durch Wahl.“

28. März 1948 –

 

Aufgenommen am 8. Juli 2024 in Saint-Légier.

Eric Rochat – Association Films Plans-Fixes

 

> Wie man einen Namen in eine Rinde ritzt, bringt der 76-jährige Eric Rochat am Ende der Aufnahme seine drei Enkel in die „Plans Fixes“: „Sie wären enttäuscht, wenn sie in diesem Film nicht vorkämen.“ Der Grossvater gibt ihnen durch seine Persönlichkeit und seine Karriere Orientierung. Er ist ein Mensch, der zu seinem Wort steht. Darum kann man sich auf ihn verlassen. <

 

Bevor er sich fürs Arztstudium entschied, erwog Eric Rochat, Pfarrer zu werden. Auch in diesem Beruf hätte er auf die Menschen eingewirkt. Und auch hier wäre das Wesentliche aus der Ich-Du-Beziehung erwachsen. Sie entsteht, wenn jemand offen zeigt, wer er ist, was er denkt und was er fühlt: „Schau, so bin ich. Und das läuft in mir ab.“ Eric Berne, der Begründer der Transaktionsanalyse, spricht vom vertrauensvollen Kindheits-Ich. (Es gibt auch das verängstigte und das misstrauische).

 

Eric Rochat ist es gegeben, sich und den andern seine Befindlichkeit klarzumachen. Gleichzeitig kann er mit einfachen Worten aussprechen, was zwischen ihm und den andern vorgeht. Damit erfüllt er das Kriterium der Transparenz: Mit ihm weiss jeder, woran er ist. Eine gute Voraussetzung für den Beruf des Pfarrers, des Lehrers – oder eben des Arzts.

 

Auf sein Studium kam Eric Rochat durch das Vorbild des Kinderarzts, der ihn als Junge betastete und abhörte, indem er ihm das Ohr auf Brust und Rücken legte: „Ich fühlte seine Hand und roch den Pfeifenrauch.“ Beim alten Doktor kam die Diagnose durch menschliche Annäherung zustande. Die Apparatemedizin, damals noch schlecht entwickelt, wurde aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nur selten praktiziert.

 

Wichtig war das Gespräch. Eric Rochat: „Der Kranke weiss in der Regel, was ihm fehlt. Wenn er es aussprechen kann, hilft das der Diagnose zu fünfzig Prozent. Darum war es mir wichtig, dass sich die Patienten, wann immer es ging, in ihrer Muttersprache ausdrückten.“ Prägend war die Schule von > Edouard Jequier-Doge. Als der Lausanner Professor für Allgemeinmedizin in den „Plans Fixes“ vorgestellt wurde, vergass Interviewer Bertil Galland für einmal zu reden und ... dazwischenzureden. Jequier-Doge wurde durch Freude an der Herausforderung und überragende Intelligenz zu einem Umgang mit den Kranken inspiriert, der sich radikal von den Moden abhob und sich durch die Aufmerksamkeit für die Person auszeichnete.

 

Geprägt von dieser Schule, gehörte es für > Jacqueline Porret-Forel zur ärztlichen Routine, jedesmal Herz und Lunge der Patienten abzuhören und den Körper abzutasten: „Man erfährt viel dabei. Die Krankheit verändert sich von Tag zu Tag. Und man tritt mit dem ganzen Menschen in Kontakt.“ Tempi passati. „Was ich an der heutigen Medizin am meisten bedaure“, erklärt der 76-jährige Eric Rochat, „ist der Umstand, dass sich ein Bildschirm zwischen den Arzt und den Patienten schiebt.“ Beim diagnostischen Gespräch beklopfen die Finger des Doktors nicht mehr länger einen Körper, sondern eine Tastatur, „weil jeder Taxpunkt gleich ins System eingetragen werden muss.“

 

Vor fünfzig Jahren verstand es der Berner Medizinprofessor Guido Riva noch, einen Knieschaden seiner Frau mit den Händen zu diagnostizieren. Heute werden dafür bildgebende Verfahren eingesetzt. „Das richtige Hören verlangt ein gutes Jahrzehnt“, erklärt in diesem Zusammenhang Eric Rochat. Er selbst hat „das richtige Hören“ noch gelernt. Die Neugier habe ihn dazu getrieben; und „das Interesse am Menschen.“

 

Das Interesse am Menschen brachte ihn auch in die Politik. „Man sucht Leute, die sich nicht drücken, wenn es darum geht, eine Aufgabe zu übernehmen. Wenn sie zu ihrem Wort stehen, bekommen sie weitere Aufgaben.“ Die Gewissenhaftigkeit, mit der Eric Rochat als Präsident zuerst die Waadtländer, dann die Westschweizer Ärztevereinigung leitete, empfahl ihn fürs Waadtländer Kantonsparlament. Zwei Vertreter des Parti libéral vaudois schrieben sich für eine Sprechstunde in seiner Praxis ein. Nachdem sie ihr Anliegen vorgebracht hatten, rief der überrumpelte und zeitlich gehetzte Arzt, um sie loszuwerden: „Meinetwegen. Setzt mich auf die Liste!“ So kam er in den Grossen Rat.

 

Dort begann er sich bald zu langweilen. Zum Fraktionschef sagte er: „Wenn ihr nicht eine Aufgabe für mich habt, trete ich zurück. Ich habe eine Praxis voller Patienten, die auf mich warten.“ So kam Eric Rochat in die Kommission für ein neues Schulreglement, und die Qualität seiner Arbeit empfahl ihn für die Wahl in die kantonale Exekutive – die er aber nicht bestand. Es fehlten 322 Stimmen.

 

Dafür kam er in den Ständerat, also die kleine Kammer des eidgenössischen Parlaments. Nach zwei Wochen wurde er dort Vizepräsident der Sicherheitskommission. Der Präsident sagte: „Hör, ich komme aus dem hintersten Teil des Kantons Glarus. Ich kann weder Englisch noch Französisch. Also wirst du die Auslandeinsätze wahrnehmen. Ich bleibe in Bern und halte die Festung.“ Nach zwei Jahren rutschte Eric Rochat auf den Präsidentensitz nach, und nach weiteren zwei Jahren verlor er die Wiederwahl in den Ständerat. 23 Stimmen fehlten für die Fortsetzung des Mandats. „Ich habe es bedauert. Aber was will man? Ich machte es wie die kranke Katze: Sie verbirgt sie sich unterm Bett. Wenn sie sich erholt hat, kommt sie wieder hervor.“

 

Wie alle, die den schweizerischen Politikbetrieb näher kennen, rühmt Eric Rochat die parteiübergreifende, pragmatische, lösungsorientierte Zusammenarbeit. Über die Zeit im Parlament schrieb er ein Buch. Und ein weiteres über seine Erfahrungen mit den Patienten. Eric Rochat bringt eben, wie ein guter Pfarrer, Lehrer oder Arzt, alles zu Wort: Er zeigt, wer er ist, was er denkt und was er fühlt. Die Enkel können ihn zum Vorbild nehmen.

 

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