Peter Rybar: Violonist.

29. August 1913 – 4. Oktober 2002.

 

Aufgenommen am 20. April 1993 in Caslano.

http://www.plansfixes.ch/films/peter-rybar/

 

> Das Wort fällt zwar nicht. Aber als Sohn einer Geigerin war Peter Rybar so etwas wie ein Wunderkind. Geboren in Wien, wuchs er anfänglich deutschsprachig auf, durchlebte dann aber den Ersten Weltkrieg in London. Im Alter von sieben Jahren kam er nach Prag. In Paris erhielt er Unterricht beim berühmten Carl Flesch. Darauf begann er, als internationaler Violinsolist aufzutreten. Doch ab 25 blieb er in Winterthur hängen. <

 

Gegründet 1629, und damit eine der ältesten Musikinstitutionen Europas, wurde das Stadtorchester Winterthur zwischen 1922 und 1950 unter dem Dirigenten Hermann Scherchen europaweit bekannt. Gefördert vom Mäzen Werner Reinhart spielte es über 120 Uraufführungen. Für das Stadtorchester schrieben Paul Hindemith, Arthur Honegger, Othmar Schoeck, Arnold Schönberg, Richard Strauss, Igor Strawinsky, Anton Webern u.v.a.m.

 

Peter Rybar wurde 1938 im Alter von 25 Jahren als Konzertmeister an das Orchester berufen. Er dachte: „Sechs Monate halte ich’s aus.“ So lange dauerte damals eine Spielzeit. Doch Peter Rybar behielt die Stelle 27 Jahre lang. Er spielte weiter unter Scherchens Nachfolger Victor Desarzens und begann, am Konservatorium Winterthur zu unterrichten.

 

Daneben entstanden unzählige Plattenaufnahmen, bei denen Peter Rybar die erste Geige spielte: im Duo mit Clara Haskil oder Marcelle Daeppen (Rybars Frau), im Quartett, im Quintett (wieder mit seiner Frau) und mit verschiedenen europäischen Orchestern. Er erlebte, dass seine Aufnahmen für Vynil als CD neu ediert wurden. Am 25. Oktober 2002 titelte deshalb „The Guardian“ im Nachruf auf ihn: „Violinist who lived to see his mid-century recordings return on CD“.

 

Von seinem Wohnsitz in Caslano bei Lugano, auf den er sich zurückgezogen hatte, wurde Peter Rybar von Wolfgang Sawallisch ans Orchestre de la Suisse Romande berufen. Er bekleidete dort zehn Jahre lang die Stelle des Konzertmeisters und spielte daneben, ebenfalls als Konzertmeister, sommers am Luzerner Festspielorchester unter den renommiertesten Dirigenten.

 

In der Aufnahme für die „Plans Fixes“ wird diese Karriere nachgezeichnet. Viele berühmte Namen blitzen auf, mit denen Peter Rybar, selber eine Berühmtheit, musiziert hat. Doch die Menschen, die er in seiner künstlerischen Tätigkeit kennengelernt hat, werden im Gespräch nicht greifbar. Auch Peter Rybar nicht. Warum nur? Liegt es, wie seine Haltung im Film nahelegt, an einer Art gutwilliger Bescheidenheit? Liegt es daran, dass Rybars Hauptsprache einfach die Musik war? Oder liegt es an der Gesprächssituation?

 

Damit eine Erzählung gelingt, oder sagen wir zutreffender: ankommt, muss ein Akt gegenseitiger Zu­wendung erfolgen. Der Erzähler muss dem Hörer „etwas bieten“, das heisst: mit der Relation von Vorgefallenem Freude machen wollen. Dafür steht er beim Reden mit seiner ganzen Person ein. Er stellt also nicht nur eine Sache dar, sondern auch sich selbst und sein Verhältnis zu ihr.

 

Wer sich für sein Ich schämt oder innerlich nicht lebendig ist, kann nicht erzählen. Auf der anderen Seite kann sich der Erzähler nur öffnen, wenn er die Zuwendung des Hörers spürt. Das Interesse des Empfängers ermöglicht erst den Strom der Rede. Erlischt das Interesse infolge schwach entwickelter Auf­nahme-, Konzentrations- oder Ein­füh­lungs­gabe, versiegt die Erzählung.

 

Wenn aber die Bedingungen stimmen, wird das Berichten zum Fest. „Edi, wie war das damals mit der Kohle auf der alten Berna?“ Kapitän Weber wendet sich dem Fragenden zu, der sich im Steuerhaus neben ihm niedergelassen hat. „Uh du!“, beginnt er, während er den Bug des Schiffes zur Sankt Petersinsel hin ausrichtet. „Du musst wissen, dass die Kohle auf dem Güterbahnhof ausgeliefert wurde, und zwar am Stück, nicht zerklei­nert!“ Jetzt beginnt Kapitän Weber zu erzählen, wie man den Handkarren aus dem Hafenhangar nimmt und durch die ganze Stadt führt bis zum Güterbahnhof; wie von dort die Kohle unter abenteuerlichen Zwischenfällen in die Werft kommt; wie sie an der Ländte von D/S Berna zerkleinert wird und dann hinüberkommt in den Bunker des Schiffs und dann, und dann, und dann ... passiert zwischendurch dies und das ... und jener Heizer hat das Unglück, dass … Edi Weber schildert die Vorgänge mit träfem Voka­bular („sendefähig ohne einen Schnitt“, denkt der Radio­mann), und schon sind zweieinhalb Stunden um, das Schiff fährt auf den Hafen von Murten zu. „Wir können ja am Nachmittag weiterreden, wenn’s dich in­te­res­siert.“

 

Gleich ereignete sich das Erzählen bei meinem Grosspapa. („Är het geng öppis z brichte gha.“) Ich erinnere mich, wie er uns mit Grossmama in Biel besuchte und von meinem Vater gefragt wurde: „Wie war die Fahrt?“ Wir erhielten einen spannenden, farbigen Bericht der Abenteuer, die ein wacher, lebendiger Geist erlebt, wenn er in Muri aufs Bähnli geht, in Bern umsteigt, eine halbe Stunde im Zug nach Biel zurücklegt und schliess­lich vom Bahnhof an die Güterstrasse kommt, wo ihn ein Aufzug in den dritten Stock führt.

 

Da konnte man ermes­sen, was für eine Bildung die langen Sonntagnach­mit­tage auf dem Land ermöglicht haben. Man sitzt auf der Laube und hat die Hände im Schoss gefaltet. Wenn ein Bekannter vorbeikommt, wird gegrüsst: „Wie geht’s?“ Geschehen ist nichts. Hinter allen liegt eine Woche wie jede andere. Und doch gibt es, genau besehen, enorm viel zu berichten. Man will den Hörer nicht enttäuschen und hat deshalb gelernt, durch Entwicklung von Erzählkunst das Interesse am Unbe­deutenden und Alltäglichen hervorzurufen. Eine ähnliche Entwicklung brachte Paul Cézanne dazu, Äpfel und Krüge abzumalen anstelle welthistorischer Ereignisse oder schöner weiblicher Modelle. Das Erzählenkönnen aber verdankte die Generation unserer Grosseltern der Schule, die das sonntägliche „Löibli“ bildete. – Wahr­haftig, Peter Bichsel hatte recht: „Die Kultur entstand aus der Lange­weile.“

 

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