Diane Gilliard: Weg einer Minderheitenfrau.

1946 –

 

Aufgenommen am 14. Dezember 2006 in Lausanne.

http://www.plansfixes.ch/films/diane-gilliard/

 

> Der Schluss fehlt. Nach 44 Minuten und 28 Sekunden reisst der Film ab. So steht das Porträt von Diane Gilliard seit 2006 beschädigt im Netz. Ob’s jemand gemerkt hat? – Der Zustand der Aufnahme passt gut zur abgebildeten Frau: Sie hat sich zeitlebens für die Beschädigten eingesetzt, und für die Überzähligen, die niemand vermisst. <

 

Wenn der Film auf sein Ende zurollt, erklärt Diane Gilliard gerade, dass die Medien nur einen winzigen Teil der Bevölkerung zu Wort kommen lassen. Gezeigt werden die, die die Macht haben, die, die entscheiden können, die, die eloquent sind.

 

Das ist seit jeher so gewesen:

 

 Denn die einen sind im Dunkeln
 Und die andern sind im Licht.
 Und man siehet die im Lichte
 Die im Dunkeln sieht man nicht.


(Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper)

 

Für die Unsichtbaren hat sich Diane Gilliard zeitlebens eingesetzt. Sie hat ihnen geholfen beim Gang durch die Ämter. Sie hat ihre Rechte verteidigt. Sie hat angepackt, wo Not war. Das nennt sie Hilfe am Nächsten: „aide de proximité“. Dazu lächelt sie. Das eine sind die Worte. Das andere sind die Taten. Diane Gilliard verfügt über beides: Rat und Tat.

 

Für die Redegabe kam ihr zuhilfe, dass sie mit Büchern aufgewachsen ist. Das Bildungsfeuer der Linken brannte in ihrem Haus. Allenthalben war die Parole: „Lernen und kämpfen muss das Proletariat, wenn es eine neue und bessere Welt erobern will.“ Das galt für die Banlieue von Paris, wo Diane Gilliard 1946 zur Welt kam; das galt für Lausanne, wo sie ab 1954 aufwuchs; und das galt für das rote Wien, aus dem das zitierte Flugblatt stammt: 

 

Jeder denkende Arbeiter, jede mit dem Proletariat fühlende Arbeiterin, vor allem die Jugend des Proletariats, komme zu unseren Veranstaltungen.

Was kann man lernen?

Geschichte: Von den Bauernkriegen bis zur Gegenwart.

Volkswirtschaftsfragen.

Frauenkurs: Erläuterungen zum Kommunistischen Manifest.

Was Frauen wissen sollen: Allgemeine Gesundheitsfragen, Erziehung.

Religion und Sozialismus: Das Wesen des Klerikalismus, Religion und Sittlichkeit.

Stenographie.

Schnittzeichnen und Nähen.

2 Massen­versammlungen.

Thema in beiden Versammlungen: Wie kommen wir vorwärts?

 

Der Vater, ein Schweizer, kämpfte in Paris für den Kommunismus. Acht Jahre nach Dianes Geburt trennte er sich von der Familie und wandte sich einer Genossin zu, die ihrerseits drei Kinder in die Beziehung brachte. Diane zog mit Mutter und Geschwistern nach Lausanne. Die Unterstützungsbeiträge des Vaters kamen selten. Die Mutter, jetzt alleinerziehend, musste arbeiten. Aber zwei Dinge standen unerschütterlich fest: Der Kommunismus verlangt vollen Einsatz, und Diane gehört aufs Gymnasium! 

 

Mit diesem Hintergrund wuchs das Mädchen zur beredten Aktivistin heran. Sie beteiligte sich an den Ostermärschen für Frieden und atomare Abrüstung. Sie demonstrierte gegen den Vietnamkrieg. Mit 22 Jahren heiratete sie einen maoistischen Mitkämpfer. Beide glaubten an einen dritten Weg zwischen dem Sozialismus der UdSSR und dem Kapitalismus der USA. Die Greuel der Kulturrevolution ignorierten sie: „Es durfte sie nicht geben, also gab es sie nicht.“ Diane verdrängte auch, dass das Motiv für ihre Heirat Flucht gewesen war: „Ich wollte einfach wegkommen.“

 

Heute sieht sie die Wahrheit, wie sie ist, und nicht so, wie „man“ sie haben möchte. Um zur vollen Einsicht zu kommen, nicht nur über die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse, sondern auch über die persönlichen, musste sie zuerst einmal gründlich unten durch. Ein Tief in der Lebensmitte führte sie zu einem Psychoanalytiker. Er half ihr, den Teil anzupacken, den sie unmittelbar verbessern konnte. Viermal pro Woche legte sie sich auf die Couch. Ein paar Jahre lang. Dann war sie befreit: „Ich verdanke meinem Arzt ein neues Leben. Die Therapie war ein Einschnitt. Es gibt ein vorher und nachher. Jetzt lebe ich im Glück.“

 

Diane Gilliard schaut nun überall hin, bei sich und den andern. Der Humor, mit dem sie die Verhältnisse schildert, zeigt Überlegenheit an. Wenn sie Ungerechtigkeiten bekämpft (namentlich bei der Behandlung der Frauen), und wenn sie den Benachteiligten ihre Hilfe leiht, ist sie mit sich im Reinen. Die Begegnung in den „Plans Fixes“ aber weckt den Wunsch, solch vollen Persönlichkeiten auch am Licht zu begegnen.

 

Der Film bricht ab. Diane Gilliards Ausstrahlung jedoch wirkt nach. Die Frau lebt vor, wo wir hinkommen müssen.

 

1145 Views
Kommentare
()
Einen neuen Kommentar hinzufügenEine neue Antwort hinzufügen
Ich stimme zu, dass meine Angaben gespeichert und verarbeitet werden dürfen.*
Abbrechen
Antwort abschicken
Kommentar abschicken
Weitere laden
Dialog mit Abwesenden / Réponses aux Plans Fixes 0