Benno Besson: Regisseur.

4. November 1922 – 23. Februar 2006.

 

Aufgenommen am 31. Oktober 2002 in Lausanne.

Benno Besson – Association Plans Fixes 

 

> Benno Besson ist nicht in Fahrt zu bringen. Nicht ein Mal verändert er seine Haltung, nicht ein Mal bewegt er die Hände. 45 Minuten lang bleibt er zurückhaltend, verschlossen, undurchdringlich. Dabei hat er viel geleistet, viel erlebt. Aber das Entscheidende behält er für sich. Auf diese Weise ist das Porträt von ihm, wie der Volksmund sagt, von Anfang an „gestorben“, und die Zuschauer kommen nicht „hinter ihn“. <

 

Veranlagung oder Milieu? Das ist die Frage, wenn man eine Erklärung dafür sucht, warum jemand der geworden ist, der er ist. Im Fall von Benno Besson würde die Veranlagungsthese von einem stark introvertierten Menschen ausgehen. Dazu gehört, dass „nicht leicht festzustellen ist, was in den Introvertierten vorgeht“, erklären Stefanie Stahl und Melanie Alt. „Über persönliche Gefühle und Gedanken sprechen sie zögerlich und am liebsten nur mit engen Freunden. Mit sehr introvertierten Personen kann eine Unterhaltung recht zäh werden. – Ihre Zurückgezogenheit kann manchmal geradezu abweisend, mitunter sogar arrogant wirken.“

 

Milieu anderseits – das sind die Umstände, die zur Aufnahme geführt haben: „Doch, Benno, das bist du dir (beziehungsweise uns) schuldig! Die ‚Plans Fixes‘ sind das Filmpantheon der Westschweiz. Da gehörst du hinein, mit deiner unglaublichen Lebensleistung als international gefragter Theaterregisseur.“ So lässt sich Benno denn vier Tage vor seinem 80. Geburtstag dazu bequemen, auf der Bühne des Théâtre de Vidy mit frisch onduliertem Haar abgefilmt zu werden, aber seine Haltung macht deutlich: „Ihr habt das gewollt, nicht ich. Mir passt es eigentlich nicht.“

 

Auf dieser Basis kommt natürlich keine Unterhaltung in Gang. Die Interviewerin Marlène Métrailler bringt zwar eine Vielzahl von Themen ins Spiel, doch Bessons Mundwinkel bleiben streng nach unten gezogen, und die Antworten fallen knapp und widerwillig aus. Sein Porträt zeigt gepanzerte Undurchdringlichkeit, und nicht mitreissende Erzählfreude wie beim Historiker > Alfred Berchtold, nicht Mitteilung von Gedanken wie beim Maler > Pietro Sarto. Der Unwille, mit dem Benno Besson die Session absitzt, zeigt sich am deutlichsten, wenn er so tut, als verstehe er eine Frage nicht, weil sie, wie er andeutet, falsch gestellt sei. Dann fällt seine Antwort noch kürzer aus als sonst.

 

Drei, vier Mal bewegt Besson die Augen: am Anfang des Films und am Ende. Am Anfang muss er Auskunft über die Kindheit geben. Während er sich den Ort seiner Jugend vergegenwärtigt, wandert der Blick nach oben. Dazu sagt der Psychologe Werner Clemenz: „Immer, wenn wir das Reich der Bilder betreten, gleiten unsere Pupillen nach oben. Und zwar nach rechts hinauf, wenn wir uns mit erinnerten Bildern abgeben, und nach links hinauf, wenn wir neue Bilder konstruieren. Bei Linkshändern ist es umgekehrt.“

 

Benno Besson ist Rechtshänder. Das zeigt sich daran, dass er sich mit dem rechten Zeigefinger ein paarmal ins Gesicht fasst und nicht mit dem linken. Darum holt er auch die erinnerten Bilder oben rechts ab und nicht oben links. Im übrigen aber ist sein Blick konstant geradeaus gerichtet. Das bedeutet: Besson verlässt die Verstandesebene nicht. Würde er Kontakt mit den Gefühlen suchen, würde sein Blick nach unten wandern. Aber das geschieht während des ganzen Films nie. Dafür schaut er gegen das Ende hin zum Aufnahme­leiter: „Wie lange geht es noch? Seid ihr noch nicht fertig?“

 

Milieu – das bedeutet im Fall von Benno Besson auch DDR. Dort arbeitete er fast dreissig Jahre, von 1949 bis 1978, und zwar nicht irgendwo, sondern in den Leuchttürmen der Staatskultur: Am Berliner Ensemble, am Deutschen Theater und an der Volksbühne; und zwar nicht als Garderobier; sondern im ersten Haus bei Bertolt Brecht als Regisseur, im zweiten Haus bei Wolfgang Langhoff als Chefregisseur und im dritten Haus, der Volksbühne, als Intendant. Mehr dazu gibt Besson indessen nicht preis.

 

Schon gar nichts sagt er über die Führung des SED-Staats, die sich zu allen seinen Premieren einfand und applaudierte, auch am 14. Oktober 1962, als er im Deutschen Theater den „Frieden“ des Aristophanes in der Bearbeitung von Peter Hacks zur Uraufführung brachte. Während des 45-minütigen Schlussbeifalls gab es 16 Verbeugungen vor dem Publikum – und damit auch vor dem Regime.

 

Dieser Triumph ereignete sich neun Jahre nach der „Niederschlagung“ des DDR-Aufstands vom 17. Juni 1953, sechs Jahre nach der „Niederschlagung“ des Ungarnaufstands am 4. November 1956 und sechs Jahre vor der „Niederschlagung“ des Prager Frühlings am 21. August 1968 – immer ausgeführt durch Truppen des „sowjetischen Bruderstaats“. Und immer ging es um „Niederschlagung“ der Forderungen nach Freiheit und Selbstbestimmung.

 

„Schwerer als Einheitsideologie und permanenter Mangel an wichtigen Gütern und Dienstleistungen sowie im Produktionsalltag von Ersatzteilen oder Rohstoffen“, schreibt der Brockhaus von 2006 zum Stichwort „Deutsche Demokratische Republik“, „wog die dauerhafte Verweigerung von Grundrechten, die – zwar in der Verfassung garantiert, aber ab 1958 ausschliesslich als ,sozialistische Persönlichkeitsrechte‘ interpretiert – faktisch aufgehoben waren. Wegen angeblich fehlenden Interessenwider­spruchs zwischen Staat und Bürger ,diente‘ das vom Staat gesetzte Recht per se dem Volk.“ Benno Besson bekam das alles mit, wie auch der Rest der Welt.

 

„1978 ging Besson nach Paris“, sagt Wikipedia. „Er betonte rückblickend, dass er das Land nicht aus politischen Gründen verlassen habe.“ In den „Plans Fixes“ rechtfertigt er den Bau der Berliner Mauer: „Vorher flossen Geld und Bevölkerung in den Westen. Dadurch war der Staat nicht lebensfähig.“

 

Wer nun den Film sieht, kann nicht entscheiden, woher Bessons Wortkargheit rührt. Veranlagung oder Milieu? Ihn kann man nicht mehr fragen. 2006, vier Jahre nach der Aufnahme, wurde seine Asche im Neuenburgersee verstreut.

 

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