Freddy Buache: Direktor und Konservator der Cinémathèque suisse.

29. Dezember 1924 – 28. Mai 2019.

 

Aufgenommen am 23. Oktober 1985 in Lausanne.

Freddy Buache – Association Plans Fixes

 

> Für die „Plans Fixes“ erzählt Freddy Buache (er wurde 94 Jahre alt) nur gerade das erste Viertel seines Lebens – also Kindheit, Jugend, frühes Erwachsenenalter bis zum Eintritt in die Cinemathèque suisse. Deren Leitung übernahm er mit 27, und mit 72 gab er sie ab. Im Film schildert er die Einflüsse, die ihn zu dem machten, der er bald einmal war: der „Monsieur Cinéma“ der Westschweiz. <

 

Was Freddy Buache den „Plans Fixes“ (und damit der Nachwelt) erzählt, ist der Entwicklungsroman seines Lebens, wie er im Buche steht. Unter dem Stichwort „Entwicklungsroman“ vermerkt Gero von Wilperts „Sachwörterbuch der Literatur“:

 

Roman, der in sehr bewusster und sinnvoller Komposition den inneren und äusseren Werdegang eines Menschen von den Anfängen bis zu einer gewissen Reifung der Persönlichkeit mit psychologischer Folge­richtigkeit verfolgt und die Ausbildung vorhandener Anlagen in der dauernden Auseinandersetzung mit den Umwelteinflüssen in breitem kulturellem Rahmen darstellt. Das Streben und Irren des Helden führt aus eigener Kraft auf einen Stand gewisser Vollkommenheit, der dem subjektiven Idealbild des Dichters und seiner Zeit entspricht.

 

Freddy Buache setzt beim „äusseren Werdegang“ des Vaters ein. Aus Gründen, die im Dunkel der Geschichte liegen, kam Frédéric Buache als Vollwaise ins Waisenhaus von Avenches. Von dort aus wurde er mit zehn Jahren an einen Hof im Haut-Jorat verdingt, in die sanft gewellte bäuerliche Gegend hinter Lausanne. Da schlug er Wurzeln. Die Familie des Bauern behandelte ihn gleich wie die eigenen Kinder und lebte nach der Maxime des Volksmunds: „Alles mit Liebe und nichts mit Gewalt.“

 

1924, im Alter von 27 Jahren, heiratete Frédéric Buache eine Tochter des Dorfs und übernahm mit ihr das Café de la Poste. Es ist das Jahr, in dem Freddy zur Welt kommt. Er wächst auf zwischen den langsamen Gesprächen der Einheimischen in der Gaststube und, auf der anderen Seite der Strasse, den Arbeiten auf dem Bauernhof, dem sich der Vater und der Sohn zugehörig fühlen. Dabei erfährt Freddy an sich selbst die Wahrheit des volkstümlichen Satzes: „Wer uns wohl will, dem tut man gerne wieder Gutes.“ Der harmonische Wechsel von Vita activa und Vita contemplativa bringt ihn am Ende zum Fazit: „Ich hatte eine glückliche Kindheit.“

 

Aber das Glück dauert, wie der Volksmund sagt, nur „von elf Uhr bis Mittag“. 1934 muss der Vater mangels Einkünften mit 37 Jahren das Café de la Poste aufgeben und mit der Familie nach Lausanne ziehen. Es ist die schlimmste Zeit. Arbeit findet sich auch in der Stadt nicht. Der frühere Dorfgastwirt versucht, sich als Handlanger durchzuschlagen. Aber es ergeben sich nur Gelegenheits­arbeiten auf Baustellen und bei der Schneeräumung. Um dem Sohn den Besuch der Sekundarschule (le Collège) zu ermöglichen, verdingt sich die Mutter als Serviertochter.

 

Wiederum lebt Freddy Buache in zwei Welten: Zuhause ist er in der Welt des Proletariats, und an der Schule in der Welt der Bourgeoisie. Le Collège besuchen nämlich nur die Söhne der Bessergestellten. Zum Zeichen ihres Rangs tragen sie eine Schülermütze. Mit ihr geht dem Jungen zum ersten Mal auf, dass es Klassenunterschiede gibt.

 

Nach der Schule gerät er in eine sozialistische Kundgebung auf der Place de la Riponne. Verschiedene Redner treten auf. Am Schluss bläst die Musik die Internationale. Da schlägt ihm jemand die Mütze vom Kopf und tritt sie mit den Füssen: „Fils de Bourgeois [Bürgerssohn (gesprochen mit der gleichen Verachtung wie: „Hurensohn“)], zu diesen Klängen nimmt man die Mütze ab!“

 

Nun weiss Freddy Buache, wohin er gehört: in die gleiche Schicht wie sein Klassenkamerad > Gustave Cherpillod, der spätere sozialistische Schriftsteller. „Es ist ein grosser Unterschied, König oder nichts“, sagt der Volksmund.

 

Freddy Buache stellt sich nun bewusst zu denen, die nichts sind. Als Zeichen der Rebellion behält er, wie Dürrenmatt, zeitlebens seinen Akzent bei – sogar als Direktor der Cinemathèque Suisse und als Präsentator der prestigereichen Fernsehsendung „Spécial Cinéma“. Er bekundet damit, wie er sein Engagement versteht: „Am Ort, wo ich bin, mit den Mitteln, die ich habe, auf die Art, die mich ausmacht.“

 

Unter diesem Gesichtspunkt ist die Zuwendung zum Film, der Freddy Buaches Leben ausfüllen wird, auch zu verstehen als Akt der Rebellion. Denn die Filmkunst („le septième art“) ist noch nicht an der Universität ange­kommen, und auch nicht im Bildungskanon, da zu wenig vornehm, zu proletarisch.

 

Doch indem der Zwanzigjährige über Filme zu schreiben beginnt, zuerst für die „Nouvelle Revue de Lausanne“, dann für die „Tribune de Lausanne“, absolviert er durch die Besprechung der bewegten Bilder seinen eigenen Bildungsgang, und er erfährt dabei die Wahrheit des Satzes aus dem Volksmund: „Bildung bessert Geist und Herz.“

 

Am Ende des Gesprächs für die „Plans Fixes“ ballt der Filmarchiv-Direktor die Faust: „Die Fähigkeit, zu einer bestimmten Anzahl von Dingen Nein zu sagen, das heisst eine Beziehung zur Politik, zur sozialen Bewegung zu behalten, verbunden mit einer Art von geistigem Anspruch, den ich immer noch erhebe und von dem ich hoffe, dass er trotz der ,Plans Fixes‘, die mir Tribut zollen, nicht Teil des weichen Offizialität dieses Landes ist, kämpfe ich weiter mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen.“ Damit bleibt Freddy Buache mit 61 Jahren der Weisheit des Volkes treu: „Ein ehrliches Nein ist besser als zwei falsche Ja.“

 

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