Jean-Claude Badoux: Ehemaliger Präsident der ETH Lausanne.

19. Februar 1935 –

 

Aufgenommen am 4. November 2005 in Lausanne.

Jean-Claude Badoux – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Jean-Claude Badoux, der spätere Präsident der ETH Lausanne, ist in einer Waadtländer Bauernfamilie aufgewachsen. Als Ältester hätte er den Hof übernehmen sollen. Doch die schwache Gesundheit liess es nicht zu. Noch in der Kinderzeit wurden Spital- und Kuraufenthalte nötig. Aber sie hatten auch etwas Gutes: Jean-Claude Badoux wurde zum Leser. Später entwickelte er sich dank seiner Offenheit zu einer imponierenden Figur in der akademischen Welt. <

 

Das Anwesen der Familie Badoux im waadtländischen Forel umfasste, wie damals üblich, eine zahlreiche Sippschaft. Durchbringen konnte man sich nämlich nur im Verband. Die Mitglieder des Hofs waren angewiesen, sich aufeinander verlassen zu können. Deshalb bildete Vertrauen die Basis des Zusammenlebens.

 

Vertrauen bedeutete gegenseitiges Wohlwollen. Im Waadtland bestimmte es seit fünftausend Jahren die bäuerliche Kultur und formte die Menschen. Jean-Claude Badoux ist davon geprägt. Und vom Geist des Christentums, der 1500 Jahre lang Orientierung gab.

 

Deshalb bezeichnet der Ingenieur mit der brillanten akademischen Karriere nicht die Berufung zum Professor mit 27 Jahren in den USA als Höhepunkt seines Lebens – und auch nicht die Wahl zum Präsidenten der ETH Lausanne, sondern den Akt, wo er als Präsident des Synodalrats 14 jungen Menschen in der Kathedrale von Lausanne die Hand auf die Schulter legen durfte, um sie fürs Pfarramt zu weihen.

 

„Soli deo gloria“ – Gott allein die Ehre. Mit diesem Leitspruch blieb Jean-Claude Badoux gegen Überheblichkeit und Einbildung gefeit. Es war ihm wichtig, den Sonntag nicht von der Woche zu trennen, Wissenschaft und Glauben vereint zu sehen.

 

Sein Gesicht zeigt dasselbe Lächeln wie das seines Kollegen Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799), der als Professor der Physik an der Universität Göttingen in die Sudelbücher eintrug:

 

Ich glaube, dass es mit dem Studieren gerade so geht, wie in der Gärtnerei: es hilft weder der da pflanzt, noch der da begiesst etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt. Ich will mich erklären. Wir tun sicherlich eine Menge von Dingen, von denen wir glauben, dass wir sie mit Wissen täten, und die wir doch tun, ohne es zu wissen. Es ist so was in unserem Gemüte wie Sonnenschein und Witterung, das nicht von uns abhängt. Wenn ich über etwas schreibe, so kommt mir das Beste immer so zu, dass ich nicht sagen kann, woher.

 

Mit dieser Haltung ging Jean-Claude Badoux sozusagen von selbst eins nach dem andern auf. Nach der Wahrheit im Glauben fand er am Gymnasium von Lausanne durch die Fächer Mathematik und Physik die Wahrheit der Wissenschaft. Und die Sprachen brachten ihm die Öffnung zur Welt.

 

Um sich die Literatur von Puschkin und Dostojewski zu erschliessen, lernte er Russisch. Und um zu studieren, ging er nicht an die ETH Lausanne, sondern an die ETH Zürich. Der Grund: die bäuerliche Herkunft. Es war damals im Waadtland Brauch, an der Schwelle zum Erwachsenenalter ein Jahr in der Deutschschweiz zu absolvieren. Davon erzählt auch der Winzer und spätere Regierungsstatthalter > Albert Munier in seinem „Plans Fixes“-Porträt.

 

Die bäuerliche Herkunft bestimmte die Studienwahl: Bauingenieur. In dieser Disziplin geht es darum, konkrete Lösungen für konkrete Probleme zu finden, Geist und Materie zusammenzubringen, gleich wie in der Medizin und in der Landwirtschaft: „Die Natur stellt uns vor reale Fragen“ sagt Jean-Claude Badoux. Deshalb gehe es dem Bauingenieur – wie dem Arzt und dem Bauern – um einen konkreten Nutzen: „Ich verstehe meine Arbeit als Dienst an der Gemeinschaft und an Gott.“

 

Als Jean-Claude Badoux mit Frau und Kindern in die USA zog, hatte er den Plan, sich dort niederzulassen. Deshalb sprachen sie miteinander Englisch: Nur auf diese Weise könne man sich integrieren, fanden sie. Kaum drüben, wurde Jean-Claude Badoux mit 27 Professor an der Universität Lehigh in Pennsylvania, mit 30 Professor an der University of California und mit 32, nach dem Rückflug über den Atlantik, Professor an der ETH Lausanne.

 

In seinem „Institut de la Construction Métallique (ICOM)“ am Genfersee ging es zu wie früher in Forel auf dem Bauernhof: Alle fühlten sich als Mitglied einer Familie. Den dreissig Angehörigen gab die Devise Kitt: „Man hilft einander!“ Der Bauer ist angewiesen auf viele Hände. Auch der Institutsleiter. Antoine de Saint-Exupéry: „Ein Führer ist jemand, der die anderen unendlich nötig hat.“

 

1992 wurde Jean-Claude Badoux vom Bundesrat zum Präsidenten der ETH Lausanne gewählt. Acht Jahre lang versah er das Amt bis zur Altersgrenze. Seine Ziele waren: Öffnung zur Welt, Aufnahme von Doktoranden aus allen Ländern, Respekt vor den Studierenden.

 

Wenn man Jean-Claude Badoux reden hört, kommt man ins Träumen. Ob es an den Hochschulen heute noch so zugeht? Kürzlich gestand ein befreundeter Eliteprofessor: „Ich brauche vierzig Prozent meiner Energie, um Intrigen abzuwehren.“ Tempora mutantur.

 

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