Pierre Bataillard: Maler und Grafiker.

18. Mai 1927 – 23. März 2008.

 

Aufgenommen am 26. August 1998 in Poliez-Pittet.

Pierre Bataillard – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Mit 71 Jahren ist Pierre Bataillard im Ruhestand. Jetzt blickt er heiter und gelöst auf das Erwerbsleben zurück. Er hat die Zeit genossen: Sie brachte ihm viele interessante Aufträge; sie machte ihn berühmt; sie belohnte ihn mit Preisen. Aber er trauert ihr nicht nach. Denn die Hauptsache macht er weiterhin: Er malt. Und damit lebt er nach wie vor im Glück. <

 

In seinem grossen Essay „Das Unbehagen in der Kultur“ untersuchte Sigmund Freud das Auseinanderklaffen von Wunsch und Wirklichkeit. „Man möchte sagen, die Absicht, dass der Mensch ‚glücklich‘ sei, ist im Plan der ‚Schöpfung‘ nicht enthalten.“ Und doch will der Mensch aus dem Elend kommen:

 

Die Sublimierung der Triebe leiht dazu ihre Hilfe. Am meisten erreicht man, wenn man den Lustgewinn aus den Quellen psychischer und intellektueller Arbeit genügend zu erhöhen versteht. Das Schicksal kann einem dann wenig anhaben. Die Befriedigung solcher Art, wie die Freude des Künstlers am Schaffen, an der Verkörperung seiner Phantasie­gebilde, die des Forschers an der Lösung von Problemen und am Erkennen der Wahrheit, haben eine besondere Qualität. Die Schwäche dieser Methode aber liegt darin, dass sie nicht allgemein verwendbar, nur wenigen Menschen zugänglich ist. Sie setzt besondere, im wirksamen Ausmass nicht gerade häufige Anlagen und Begabungen voraus.

 

Pierre Bataillard hatte das Glück, dass ihm eine gute Fee an der Wiege die Begabung zum bildnerischen Gestalten auf den Weg gab. An der Schule brachte ihm das zwar nichts ein. Aber er zeichnete und malte vor sich hin und liess sich von schlechten Noten nicht anfechten. Der Vater jedoch war ratlos. Als sich die Frage der Berufswahl stellte, suchte er beim Lehrer Auskunft. Der beruhigte ihn: „Sorgen Sie sich nicht. Pierre wird sich mit Zeichnen durchbringen!“

 

So kam Pierre Bataillard aus Morges nicht in eine Lehre, sondern an die Kunstgewerbeschule des Technikums Biel. Doch weder Stadt noch Ausbildungsstätte sagten ihm zu. Deshalb wechselte er nach einem Jahr an die École des Beaux-Arts von Lausanne. Das Bieler Jahr wurde ihm angerechnet. Und jetzt gingen ihm die Augen auf. Seine Lehrer waren Künstler mit eigenem Werk: Casimir Reymond, Marcel Poncet, Charles Chinet und Henry Bischoff.

 

Weil er jetzt da stand, wo er hingehörte, bummelte der junge Mann nicht. Das Lernen bildete seinen Lebensinhalt. Und lernen hiess arbeiten. Durch Tätigkeit bildete Pierre Bataillard sein Talent allseitig aus. Denn er wusste, dass er noch nicht fertig sei.

 

Er hatte das Glück, in einer Zeit zu leben, wo die Bildungsadministration keine Klassengrössen vorschrieb. Damit waren die Lehrer noch nicht gezwungen, zum Schutz ihres Pensums Schüler durchrutschen zu lassen, von denen sie wussten, dass sie es im angestrebten Beruf mangels Eignung nie zu etwas bringen würden. Gottfried Keller hat dieses Elend im „Grünen Heinrich“ benannt:

 

Durch den Einfluss eines jener verkümmerten Zeichenlehrer, welche die Dürftigkeit ihrer Existenz mit unversieglicher Begeisterung zu verhüllen oder zu verbessern trachten und überall mit unseligem Aufstacheln zur Hand sind, war er der Kunst zugewendet worden, nicht ohne dass jener Lehrer hiebei manches Liebesmahl und auch klingenden Lohn für allerlei Rat und Tat zu geniessen wusste.

 

Zum Studienabschluss mit einem eidgenössischen Stipendium bedacht, holte sich Pierre Bataillard an der École du Louvre vertiefte Kenntnisse in Kunstgeschichte und historischen Gestaltungspraktiken. Er wusste nicht, wozu ihm das eines Tages dienen könne, aber er nahm vorurteilslos jede Gelegenheit zum Lernen wahr. Er war eben kein „mittlerer Student“.

 

Über die Leute, die studieren, stellte Walther Killy fest: „Die sehr guten unter ihnen sind so gut wie je, es ist eine Lust mit ihnen zu arbeiten; die schlechten sind schlechter. Aber die dazwischen, die grosse Menge – wie sind die?“ Der Rektor der Universität Göttingen fasste sie ins Auge und entdeckte an ihnen „Hang zur Anonymität, Selbstmitleid angesichts von Kritik und in mancherlei Sinn asoziales Verhalten“:

 

Sucht der Professor in individueller Kritik die Schwächen einer einzelnen Arbeit begreiflich zu machen, so trifft er auf Schüler, die nicht lernen oder etwas über sich selbst erfahren, sondern sanft behandelt sein wollen. Sie haben tausend Gründe bei der Hand, weshalb ihr Versuch misslang – die Zeit war zu kurz, der Text zu lang, die Aufgabe zu schwer, die Formulierung zu weit oder zu eng, und überdies „haben wir das noch nie gemacht“.

 

Nach dem Studium aber ging es mit Pierre Bataillard steil aufwärts, sobald er sein Atelier in Lausanne eingerichtet hatte. Er sah sich als Maler und Grafiker. Anfangs brachte er sich mit kleinen Aufträgen durch. Doch dann kam die grosse Chance: Gestaltung der Jubiläumsausstellung „100 Jahre internationales Rotes Kreuz“ (1963). Diese Arbeit brachte ihn gleich weiter an die schweizerische Landesaus­stellung 1964. Sie qualifizierte ihn für die Weltausstellung Montreal 1967, und die wiederum für die Weltausstellung Tokio 1970.

 

Damit wuchs sein Grafikatelier auf zwanzig Mitarbeiter an. Man traute Pierre Bataillard zu, dass er auch Museen gestalten könne. Von den sieben, die er schaffen half, erhielten drei die Auszeichnung „Museum des Jahres“, darunter das „Museum der Rebe und des Weins“, gegründet von > Paul Anex. Dabei hatten weder Bataillard noch seine Mitarbeiter das Aufgabengebiet „studiert“. Sie packten einfach die Arbeit mit gesundem Menschenverstand an.

 

Was man daraus lernen kann, hat Arthur Schopenhauer formuliert:

 

Alle Formen nimmt die Geistlosigkeit an, um sich dahinter zu verstecken: sie verhüllt sich in Schwulst, in Bombast, in den Ton der Überlegenheit und Vornehmheit und in hundert andere Formen: nur an die Naivität macht sie sich nicht, weil sie hier sogleich bloss stehn und blosse Einfältigkeit zu Markte bringen würde. Selbst der gute Kopf darf noch nicht naiv sein; da er trocken und mager erscheinen würde. Daher bleibt die Naivität das Ehrenkleid des Genies, wie Nacktheit das der Schönheit.

 

Viele Worte machen, um wenige Gedanken mitzuteilen, ist überall das untrügliche Zeichen von Mittelmässigkeit, das des eminenten Kopfes dagegen, viele Gedanken in wenige Worte zu schliessen.

 

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