Jean-Pierre Vouga: Architekt.

24. Juni 1907 – 18. Juli 2006.

 

Aufgenommen am 17. September 1985 in La Forclaz des Ormonts.

Jean-Pierre Vouga – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Jean-Pierre Vouga tritt auf den Balkon des Chalets. Die Kamera erfasst die grandiose und zugleich reizvolle, intakte Voralpenlandschaft von La Forclaz des Ormonts. Der Auftakt des Films verrät den Charakter des Architekten: Er blickt aus höherer Warte auf die Dinge. Er hat Überlegenheit. <

 

Jean-Pierre Vouga nennt sich Architekt. Aber eigentlich wurde er nur … (sollte man das Wort jetzt eigentlich nicht in Anführungszeichen setzen?) „nur“ pensioniert als kantonaler Chefbeamter. Zwischen 1960 und 72 (dem Jahr seiner Pensionierung) war er Waadtländer Kantonsarchitekt. Und gleichwohl zeigt die Begegnung in den Bergen von der ersten Minute an beeindrucken­des Format.

 

Der Mann kann denken. Und er versteht es, in flüssiger Rede seine Gedanken auszudrücken: Rein, präzis, floskellos. Offensichtlich kommt ihm sein Vorleben zugute – das eigene und das der Väter. Der Grossvater, Émile Vouga, liess sich als Lehrer 1877 mit der Familie in Marin am unteren Ende des Neuenburgersees nieder und erlebte die Auswirkungen der ersten Juragewässerkorrektion, die damals im Gang war: Der Seespiegel wich um mehr als zwei Meter zurück, Relikte aus der Pfahlbauerzeit traten ans Tageslicht, und Émile Vouga begann, sie zu sammeln. Heute bezeichnet der Ort, an dem er die Spuren der Altvorderen aufnahm, eine vorgeschichtliche Epoche: La Tène.

 

Sein Sohn Paul, geboren 1880 und Vater von Jean-Pierre, wurde Sekretär der kantonalen neuenburgischen Grabungskommission, dann deren Leiter, dann Konservator der archäologischen Abteilung am historischen Museum von Neuenburg, dann ausserordentlicher Professor für Archäologie an der Universität Neuenburg und schliesslich Präsident der schweizerischen Gesellschaft für Frühgeschichte.

 

Jean-Pierre ist von diesem Hintergrund geprägt: Er kann, wie die Väter, denken, organisieren, Teams leiten und überzeugen. Von früh auf ist er vernetzt. Mit 32 wird er Sekretär der Rencontres internationales d’architectes (RIA), und nach dem Zweiten Weltkrieg stellt er, mittlerweile 41, in Lausanne den ersten Kongress der Union internationale des architectes (UIA) auf die Beine.

 

Er hat nicht nur ein eigenes Büro, sondern setzt seine Sprach- und Denkbegabung auch als Architekturjournalist ein. Fast dreissig Jahre lang redigiert er die Zeitschrift „Habitation“. Als engagierter Staatsbürger umreisst er die Fragen seiner Zeit und formuliert die Antworten in Wort und Tat: Genossenschaftlicher Wohnungsbau; Durchsetzung des Normenwesens; Ortsplanung; Landschaftsschutz.

 

Die Bundesräte Hans-Peter Tschudi und Kurt Furgler berufen ihn in die massgebenden nationalen und internationalen Gremien, hier als Mitglied, dort als Präsident. Die Probleme sind dringend: Während der Hochkonjunkturjahre steigt die Landschaftsvernichtung exponentiell an. Das Bauen verläuft viel zu ungeregelt. Jetzt muss der Staat eingreifen. In seiner Eigenschaft als Waadtländer Kantonsarchitekt gibt Jean-Pierre Vouga die Richtung vor. Dafür bekommt er die Untersützung seiner Vorgesetzten, den Bauministern > Arthur Maret („ein Mann von seltener Gradlinigkeit“) und Marc-Henri Ravussin.

 

Um die Probleme genau studieren zu können, nimmt Jean-Pierre Vouga junge Intellektuelle in seine Dienststelle auf, die nicht von einer Bauschule her­kommen, sondern von der Universität. Die Feststellung von Prof. Dr. H. H. über den Kulturwissenschafter seiner Hochschule: „Man merkt, du bist kein Bauingenieur!“, war in Lausanne bei Jean-Pierre Vouga noch kein kein Vorwurf, sondern ein Kompliment.

 

So, wie er sich im Film der „Plans Fixes“ präsentiert, erinnert der 78-jährige Jean-Pierre Vouga an Clemens Wenzeslaus Coudray, den Weimarer Oberbaudirektor zur Zeit der Klassik. Was unter seiner Leitung entstand, war „vollkommen zweckmässig, das heisst fest, bequem, schön und dabei ohne Verschwendung gebaut“. Als Mensch war er, sagt Goethe, „gegründet, gewandt und so tätig als geistreich“. Die Eigenschaften treffen, 150 Jahre später, auch auf Jean-Pierre Vouga zu. Er war in der Lage zu erkennen, was die Zeit verlangte, und tat konsequent das Richtige. – Wie gut käme es heraus, wenn im Anthropozän immer noch so gehandelt würde!

 

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