Charles-Frédéric Fauquex: Freisinniger Politiker – Winzer, Ständerat, Präsident des Ständerats.

26. Juni 1898 – 15. Juli 1976.

 

Aufgenommen am 1. März 1976 in Riex.

Charles-Frédéric Fauquex – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch) 

 

> Als das Projekt der „Plans Fixes“ im Herbst 1977 entstand, weilte Charles-Frédéric Fauquex nicht mehr unter den Lebenden. Aus diesem Grund entnahm die Sammlung sein Porträt einem Film des befreundeten Cineasten Henri Brandt. Er hatte den Winzer und Staatsmann noch dreieinhalb Monate vor dem Tod auf Celluloid gebannt. Titel des Films: „Der letzte Frühling“. <

 

Am 1. März 1976 hat Henri Brandt mit dem Kameramann Willy Rohrbach (der später anfing, die ersten „Plans Fixes“-Porträts aufzunehmen) zwei betagte Waadtländer Winzer besucht, denen es gelungen war, an die Spitze des eidgenössischen Bundesstaats vorzustossen. Der eine, > Paul Chaudet, hatte es zum Bundesrat und Bundespräsidenten gebracht, der andere, Charles-Frédéric Fauquex, zum Ständerat und Ständeratspräsidenten. Beiden aber stand, als sie gefilmt wurden, schon der Tod im Nacken.

 

Die einstigen Staatsmänner gaben Red und Antwort für einen Dokumentar­film, der unter dem Titel „Le dernier printemps“ die Lebenssituation verschiedener alter Leute schilderte. Die Porträts umfassen je 22 Minuten, erreichen also nicht die halbe „Plans Fixes“-Länge von 55 Minuten. Dafür sind sie in Farbe – was aber den abgebildeten Persönlichkeiten eher schadet, denn die Tönung ist befremdend expressionistisch (vielleicht der Alterung des Materials geschuldet).

 

Mit dem Hakenstock, den schweren Augenringen und dem bleckenden Lachen im langen, hageren Gesicht wirkt Charles-Frédéric Fauquex wie eine Figur aus dem Stummfilm „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ von Friedrich Wilhelm Murnau (1922). Doch wenn man sich auf die Aussage konzentriert, die der greise, bereits gezeichnete Mann über­mittelt, wird man gepackt von der Jugendlichkeit und Lebensfrische seiner Stimme, und man erkennt: Die Seele ist alterslos.

 

Auch wenn er sagt, er verstehe die Gegenwart nicht mehr und habe sich aus ihr ausgeklinkt, wirkt er verständig, humorvoll, zutraulich und, ja, verspielt wie ein junger Hund. Kein Wunder, kam er als Politiker an und steigerte seine Stimmenzahl von Wahl zu Wahl. Vielleicht hätte es aus ihm einen Studierten gegeben. Aber das Schicksal wollte, dass er bodenständig bleibe. Deshalb raffte es seinen Vater im Alter von 46 Jahren hin, gerade, als der Sohn mit dem Maturitätszeugnis aus Burgdorf zurückkam, wo er das famose Deutschschweizerjahr absolviert hatte, gleich wie der Winzer und Regierungsstatthalter > Albert Munier aus Tartegnin oder der Dichter und Zimmer-Buchhändler > Hughes Richard aus Les Ponts de Martel.

 

Unversehens stand nun Charles-Frédéric dem Weinbaubetrieb vor. Und da die altgedienten Arbeitskräfte gegenüber dem Neunzehnjährigen Widerstand und Skepsis andeuteten, versuchte er, sie dadurch zu gewinnen, dass er überall zuvorderst anpackte und die schwersten Arbeiten auf sich nahm. „Auf diese Weise habe ich mir die linke Hüfte kaputtgemacht“, erklärt der Betagte jetzt im Film und klammert sich an den Griff seines Hakenstocks. Mit den Jahren seien die Schmerzen unerträglich geworden. Sie hätten ihn nicht mehr schlafen lassen. Erst nachdem er sich eine Prothese aus Metall habe einpflanzen lassen, seien sie verschwunden. Hinter diesen Worten tritt die pragmatische Haltung der Bodenständigen ans Licht.

 

Vor zweieinhalbtausend Jahren zog Platon einen Strich zwischen den Reichen und den Handwerkern: Die Reichen, erklärte er, hätten die Musse, sich die Zeit mit Kuren zu vertreiben, „weil sie, behaupten wir, keine Aufgabe haben, ohne die sie nicht leben könnten“. Mit Therapien aber quäle man vor allem sich selbst und viele andere, „indem man sich das Sterben lang macht“. Wer dagegen eine Aufgabe habe, dem fehle die Zeit, „ein Leben mit Kuren dahinzu­siechen“:

 

Sokrates: Wenn ein Zimmermann krank ist, dann bittet er den Arzt um ein Heilmittel, das er austrinken will, um die Krankheit loszuwerden, oder er will es durch Abführen, Schneiden oder Brennen erreichen. Wenn man ihm aber eine lange Kur vorschreibt, etwa einen Filzhut auf dem Kopf zu tragen oder derartiges mehr, dann würde er rasch sagen, er habe keine Zeit für die Krankheit und keinen Vorteil von solch einem Leben, immer nur auf die Krankheit zu achten und seine eigentliche Arbeit zu vernach­lässigen. Und dann jagt er den Arzt davon, kehrt zur gewohnten Lebens­weise zurück und lebt, wenn er gesund wird, sein Leben weiter; über­steht es aber sein Körper nicht, dann stirbt er und ist aller Sorgen los!

 

Schüler: Das ist offenbar die richtige Art, wie ein Mann dieses Standes sich der Heilkunst bedient!

 

Sokrates: Doch weil er eine Aufgabe hatte, ohne die ihm das Leben nutzlos wird, nicht?

 

Schüler: Klar!

 

Er könne nicht untätig sein, erklärt Charles-Frédéric Fauquex. Jeden Tag koche er die Mahlzeiten. „Abwaschen nicht mehr, dafür haben wir eine Maschine.“ Daneben flicke er alle Sachen, für den Haushalt und für die Nachbarn, etwa wenn eine neue Scheibe einzusetzen sei. Soeben habe er in der Werkstatt auch eine kleine Bank gezimmert. Wenn der Enkel jetzt auf sie steige, könne er aus dem Fenster blicken. Charles-Frédéric Fauquex macht gern andere glücklich: „Man muss freigebig sein! Ja“, sagt er zwinkernd, „ich gebe lieber, als dass ich empfange – auch die Schläge!“

 

Er denke jeden Tag an den Tod, sagt Charles-Frédéric Fauquex. Die Vorstellung mache ihm keine Angst. Ein Unglück wäre es aber für ihn, die Frau zu verlieren, die all die Jahre an seiner Seite stand. Während er in Bern politisierte, kümmerte sie sich um die Kinder, den Betrieb, den Haushalt, das Gesinde. „Und während meiner ganzen Militärabwesenheiten als Major der Artillerie: Mehr als zweitausend Diensttage!“ Ergreifend drückt der alte Winzer und Staatsmann der Gattin seine Dankbar­keit aus, die neben der Kamera der Aufnahme beiwohnt.

 

„Ein Unglück wäre für mich ebenfalls, ein Kind zu verlieren, oder ein Enkelkind. Im Ganzen aber bin ich dankbar, ein solches Leben geführt haben zu dürfen. Maman sagte immer: ‚Man muss dankbar sein.‘ Voilà. Möchten Sie noch etwas wissen?“

 

Mit dieser Frage endet der Film. Dreieinhalb Monate später segnet Charles-Frédéric Fauquex das Zeitliche. Doch die Wärme seines Herzens und die lebensvolle Frische seiner Seele erreicht uns durch sein Porträt bis heute.

 

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