Abbé Pierre: und die Lumpensammler von Emmaus.

12. August 1912 – 22 Januar 2007.

 

Aufgenommen am 5. Dezember 1979 in Carouge.

Abbé Pierre – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> „Emmaus“ ist der Name einer Bewegung zur Bekämpfung von Obdach­losigkeit und Armut. Sie geht auf Abbé Pierre zurück. Im November 1949 wurde der Priester zu einem entlassenen Zuchthäusler gerufen, der eben versucht hatte, sich aus Verzweiflung umzubringen. „Ich kann dir nicht helfen“, sagte der Geistliche. „Ich habe selber nichts. Aber du, der du alles aufgegeben hast, du bist jetzt frei, mir zu beizustehen, den anderen zu helfen.“ Mit diesem Appell kam ein Projekt ins Rollen, das 73 Jahre später 327 Gruppen in 39 Ländern umfasst. <

 

Als Abbé Pierre im Winter 1979 durch die Schweiz fuhr, ergriff der Journalist Michel Bory die Gelegenheit, den Gottesmann für einen der allerersten „Plans Fixes“-Filme zu gewinnen. Die Aufnahme entstand in Hast. Bei der ersten Rolle waren Belichtung und Schärfe noch schlecht eingestellt. Später hörte an zwei Stellen die Filmspule zu drehen auf, doch das Tonband lief weiter. Für den Betrachter erstarrt aus diesem Grund ein paarmal das Bild, während Abbé Pierres Stimme weiterspricht.

 

Die technischen Gebrechen passen gut zum Charakter der Untergrundbewe­gung der „Compagnons d’Emmaüs“. Das Gespräch wird in einer Abbruch­liegenschaft geführt. Nebenan schlägt ein Hammer dermassen brutal gegen das Mauerwerk, dass es kaum möglich ist, sich auf Abbé Pierres Rede zu konzentrieren. Michel Bory aber ist vom Wert des Dokuments so überzeugt, dass er das Gespräch mit der Frage einleitet, was der Gründer von Emmaus den Menschen, die den Film in fünfzig oder hundert Jahren sehen würden, über sich mitteilen wolle.

 

Der Porträtierte wehrt bescheiden ab: Es gebe viele Menschen, die dasselbe täten wie er. (Und in der Tat: Die „Plans Fixes“ bringen mit > Mutter Sofia, > Diane Gilliard und > Noël Constant berührende Beispiele.) Dass Emmaus in den Fokus der Öffentlichkeit gekommen sei, liege nicht an ihm, Abbé Pierre, sondern an Umständen, zu denen er nichts habe beitragen können. Der Priester meint damit nicht den Zufall, sondern das Wirken des Heiligen Geistes. Gottes Wege sind unerforschlich.

 

Abbé Pierre, aufgewachsen in einem frommen Elternhaus, vernahm schon früh den Ruf des Herrn. Doch es ging ihm wie den meisten: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“ Nach einer Krise erst, sagt er im Film, verschrieb er sich rückhaltlos Gott, dem Herrn, und erlebte danach das Wunder der Offenbarung:

 

Und er wandte sich zu seinen Jüngern besonders und sprach: Selig sind die Augen, die das sehen, was ihr sehet. Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr sehet, und haben’s nicht gesehen, und hören, was ihr höret, und haben’s nicht gehört.

 

Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liesest du? Er antwortete und sprach: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte und deinen Nächsten wie dich selbst“. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tue das, so wirst du leben.

 

Tue das! Im Winter 1954 fiel die Temperatur so stark, dass viele Obdachlose der Kälte erlagen. Abbé Pierre aber wandte sich über das Radio an die Bevölkerung:

 

Meine Freunde, Hilfe ... Eine Frau ist heute Nacht um drei Uhr auf dem Trottoir des Boulevard Sébastopol erfroren. Sie umklammerte das Papier, mit dem sie vorgestern abgeschoben worden war. Jede Nacht sind es mehr als 2000 Menschen, die sich unter dem Frost zusammenkrümmen, ohne Dach über dem Kopf, ohne Brot, viele von ihnen fast nackt.

 

Dieser Appell löste den „Aufstand der Güte“ aus (l’insurrection de la bonté). Er brachte Spenden in der Höhe von 500 Millionen Francs zusammen; davon kamen 2 Millionen von Charlie Chaplin: „Ich spende sie nicht, ich gebe sie zurück. Sie gehören dem Vagabunden, der ich war und den ich verkörpert habe.“

 

Im Film gibt Abbé Pierre das Geständnis eines ehemaligen Minister­präsidenten weiter: „Wir fürchteten, dass das Volk Sie zum Staatspräsidenten ausrufen werde. Wir hätten nichts dagegen tun können.“ Doch Abbé Pierre ging es nicht um die Macht: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“

 

Die Emmaus-Bewegung begann, mit den riesigen Mitteln Notsiedlungen zu errichten (cités d’urgence), die sich später zu Sozialwohnungsquartieren umwandelten.

 

Abbé Pierre starb am 22. Januar 2007. Der Trauergottesdienst wurde in der Kathedrale Notre-Dame von Paris durchgeführt, in Anwesenheit des Staatspräsidenten Jacques Chirac, des früheren Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing und der Minister Dominique de Villepin, Nicolas Sarkozy, Bertrand Delanoë, Jack Lang, François Bayrou, dem Präsidenten der muslimischen sowie einem Vertreter der buddhistischen und orthodoxen Bekenntnisse, dazu zahlreiche Künstler und Volk. Ihre Achtung vor dem Dahingegangenen bekundeten die Anwesenden in der Kirche und die Zuschauer des Trauerzugs durch Applaus.

 

Welcher dünkt dich sei der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So gehe hin und tue desgleichen!

 

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