Marie-Hélène Fehr Clément: Malerin.

5. Februar 1918 – 1. Juli 2012.

 

Aufgenommen am 19. Dezember 2007 in Lausanne.

Marie-Hélène Fehr Clément – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Die 89-jährige Frau, die ihre Bilder stets nur mit dem Vornamen Marie-Hélène signierte – diese Hochbetagte, die nach der Aufnahme für die „Plans Fixes“ noch fünf Jahre weiterleben und das Alter von 94 Jahren erreichen wird, hat als Kind behauptet, sie werde nie sterben. „Aber Marie-Hélène, alle Menschen müssen sterben!“ „Ich nicht.“ <

 

Ihren Beitrag zur Unsterblichkeit hat Marie-Hélène Fehr Clément ein Leben lang mit Bildern geleistet. Daneben hat sie bei L’Age d’Homme zwei Erinnerungsbücher publiziert; mit 70 „Im Schatten meines Wegs“ (À l’ombre de mon chemin) und mit 77 „Von der Liebe wurde genug geredet“ (De l’amour on a assez parlé). Mit 89 hat sie sich von den „Plans Fixes“ filmen lassen. Und sie hat – vielleicht das Hauptwerk – mit 35 dem grossen Maler Marc-Antoine Fehr das Leben geschenkt. Heute feiert das Gertsch-Museum in Burgdorf mit einer Einzelausstellung den 70-Jährigen.

 

Dass Marie-Hélène Malerin werden würde, stand für das Kind unverrückbar fest. Der Grossvater, den sie nicht kennengelernt hat, hatte schon gemalt. Der Vater Charles Clément trug das Label „Waadtländer Maler“ (peintre vaudois). Demzufolge wuchs die Tochter mit Farben auf wie > Pascal Auberson, der Sohn des Dirigenten, mit Tönen. Als Zwölfjährige malte Marie-Hélène das erste Bild, das in ihren Augen Bestand hat.

 

„Beeinflussen liess ich mich nie“, beteuert die Künstlerin. „Ich wurde zwar von allen Seiten mit Ratschlägen zugedeckt, aber angenommen habe ich sie nie. Auch nicht von meinem Vater. Ich kannte ja das Malen so gut wie er. Deshalb erblickte ich in ihm nicht einen Lehrer, sondern einen Konkurrenten, und ich wollte ihn übertreffen.“

 

Wenn der Vater rief: „Hör jetzt auf, du machst sonst das Bild kaputt!“, malte sie weiter. „Ich hatte eben meine Vorstellung, nicht die seine.“ Da konnte der Vater lange sagen: „Du bist zu weit gegangen. Jetzt ist das Bild schlecht geworden.“ Marie-Hélène liess sich nicht beirren. „Ich habe mich nie den Autoritäten gebeugt, nie. Nicht der Kirche, nicht der Schule. Eben kam mir ein Zeugnis in die Hand. Stellen Sie sich vor, da sind in einem Jahr 107 Absenztage eingetragen! Ich hatte immer einen schwierigen Charakter. Die Erwachsenen wusste nicht, was sie mit mir anfangen sollten, und beförderten mich achselzuckend ins nächste Schuljahr.“

 

In ihrer Art erweist sich Marie-Hélène als Cousine Thomas Bernhards. Beide waren gern im Café, wollten aber unbehelligt bleiben. Kürzlich fragte der Journalist Andreas Bernard in Wien die Tochter des Wirtepaars Hawelka an der Dorotheergasse 6–8, ob sie wisse, warum der Stammgast Thomas Bernhard seinerzeit in den Bräunerhof an der Stallburg­gasse 2 umgezogen sei:

 

„Ja, das weiss ich. Am letzten Tag, an dem er bei uns sass – da war er schon bekannt – war ich auch im Café. Es muss im Sommer gewesen sein; es waren jedenfalls kaum Gäste im Lokal. Am Tisch vor dem Ofen sitzt eine junge Dame. Und liest ein Buch vom Bernhard. Mein Vater macht seine Runde und sagt zu ihr: Fräulein, wissen’S was, da drüben sitzt der Thomas Bernhard. Wollen’S nicht ein Autogramm haben? Und sie sagt: Ja, gerne. Mein Vater nimmt das Buch, geht zum Bernhard. Der schreibt sein Autogramm hinein, gibt ihm das Buch zurück – und kommt nie wieder.“

 

Ohne ihr begegnet zu sein, beschreibt Thomas Bernhard in „Minetti“, dem Porträt eines Schauspielers, Marie-Hélènes Eigenart:

 

Mit den Menschen gebrochen

mit allem und jedem gebrochen

mit der Materie gebrochen

für die Kunst

gegen das Publikum

gegen

gegen

gegen

immer wieder nur gegen

 

Wenn wir unser Ziel erreichen wollen

müssen wir immer in die entgegengesetzte Richtung

 

Immer grössere Einsamkeit

immer grösseres Unverständnis

immer grösseres Missverständnis

immer tiefere Ablehnung

 

Aber wir gehen diesen Weg

keinen andern

diesen einzigen Weg

bis wir tot sind

 

Mit ihren Bildern stösst Marie-Hélène die Porträtierten ab. Sie finden sich unvorteilhaft dargestellt, erkennen sich nicht wieder. Die Künstlerin aber sagt: „Ich zeige sie so, wie sie in Wirklichkeit sind. Ich möchte einen Nacken erfassen oder eine Wange, doch dann holt der Pinsel, ohne dass ich es will, das Innere heraus.“

 

Die Inspiration, das hat Marie-Hélène vom Vater verstanden, geht dem Malen nicht voraus. Beginnt man erst zu arbeiten, wenn sie sich eingestellt hat, kann man schwarz werden. Für den wahren Künstler stellt sie sich unter der Arbeit ein. Auch bei Thomas Bernhard. Bei ihm wurde indes nicht das Malen, sondern das Schreiben zum aufdeckenden Akt.

 

Im Café Hawelka berichtet die Tochter des Wirtepaars:

 

„Unter der Uhr, vis-à-vis von der Tür, ist immer ein sehr intelligenter Mann von der Staatsoper gesessen, ein musikalisches Genie praktisch, der aber mit einer reichen Frau verheiratet war und deshalb nicht mehr so viel gemacht hat.“ Herta Hawelka spricht von Gerhard und Maja Lampersberg, den Vorbildern des Ehepaars Auersberger in Thomas Bernhards 1984 erschienenem Skandalbuch „Holzfällen“. „Der Bernhard, der ist da auch mit dabei gewesen. Damals war er noch gar nichts, ein armer Schlucker. Er wurde von dem Ehepaar immer eingeladen bei uns im Café und auch in den Urlaub, nach Kärnten. Die Frau hat da ein großes Landgut gehabt. Viele, viele Jahre später kam dann das Buch heraus."  

 

Der Journalist Andreas Bernard fährt fort:

 

Herta Hawelka hat sich jetzt erhoben und geht vor zu dem Tisch unter der grossen Uhr an den Ort des Geschehens. „Der Bernhard war ja immer sehr negativ. Ich blättere in dem Buch, und dann sage ich zu meiner Mutter: Mama, schau mal, das musst du lesen, das sind doch unsere alten Gäste. Na, mehr hat sie nicht gebraucht. ,So was’, hat meine Mutter am nächsten Tag gesagt, ,da lässt er sich einladen, die zahlen alles, und dann schreibt er so böse über diese Leut’.’ Sie hat sich so aufgeregt. Mir hat es fast leidgetan, dass ich ihr das Buch geliehen habe.“ Gerhard und Maja Lampersberg sind damals gegen „Holzfällen“ vor Gericht gezogen. Die aktuelle Auflage musste aus den Buchhand­lungen entfernt werden. Später zog das Ehepaar die Klage gegen eine Schadenersatzzahlung zurück.

 

Marie-Hélène Fehr Clément hatte das Glück, als Mäzen einen Mann zu finden, den sie für seine Intelligenz, Überlegenheit und Zugewandtheit achten konnte, im Gegensatz zum Waadtländer Maler René Auberjonois, der sie, laut Wikipedia, zu ihrem Beruf ermutigt hat. „Für mich war er ein Minus. Ich war besser als er.“

 

Für den jungen Juristen Otto Fehr aber zog die Malerin nach Zürich, gebar ihm drei Kinder und lebte mit ihm 47 Jahre lang in der Limmatstadt, bis 1991 ein Hirnschlag des Mannes das Paar bewog, nach Lausanne zu ziehen. Otto Fehr hatte, wie Marie-Hélène sagt, ihr Genie erkannt, den Wert ihrer Bilder begriffen und sie als Künstlerin stets durchgetragen, ohne zu wanken. Was braucht ein kreativer Mensch mehr?

 

Wer ein holdes Weib errungen,

Stimm’ in unsern Jubel ein!

(Beethoven: Fidelio, Schlusschor.)

 

188 Views
Kommentare
()
Einen neuen Kommentar hinzufügenEine neue Antwort hinzufügen
Ich stimme zu, dass meine Angaben gespeichert und verarbeitet werden dürfen.*
Abbrechen
Antwort abschicken
Kommentar abschicken
Weitere laden
Dialog mit Abwesenden / Réponses aux Plans Fixes 0