Jean-Pierre Dresco: Architekt des Kantons Waadt.

18. Januar 1936 –

 

Aufgenommen am 6. Juni 1996 in Chavannes-près-Renans.

Jean-Pierre Dresco – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Mit der Aufnahme ist etwas passiert. Wenn man bei den „Plans Fixes (ein Gesicht – eine Stimme – ein Leben)“ den Namen von Jean-Pierre Dresco, Architekt des Staates Waadt, anklickt, weist die Homepage für das Dokument eine Länge von „ca. 50 min“ aus. Der Vorspann kündet an: „Ein Gespräch aufgenommen ohne Wiederholungen und Schnitte. Film 16 mm – schwarz/weiss. Dauer 50 bis 55'." Doch dann bricht die Wiedergabe nach 27 Minuten 11 Sekunden unvermittelt ab. Der Befragte sagte gerade: „… auf die Mus– “. Offensichtlich geschah nach der Begegnung vom 6. Juni 1996 mit dem Dokument etwas Irreparables. Die Inhaltsangabe hört an dieser Stelle auf. Die Transkription auch. Der Film blieb Fragment. <

 

Jean-Pierre Drescos Grossvater mütterlicherseits, Leonardo Morandi, stammte aus Varzo, dem ersten Dorf im Süden der Simplonlinie. Als Arbeitsmigrant wanderte er um 1880 in die Schweiz ein und liess sich im Broyetal nieder. Da betätigte er sich als Unternehmer. Er gründete die Ziegelei Morandi. Im 20. Jahrhundert machten verschiedene Zukäufe die Morandi Frères SA zum grössten Ziegelproduzenten der Westschweiz. Das Unterneh­men blieb im Besitz der Familie bis 2009.

 

Auch beim Enkel schlägt der Unternehmergeist durch. Wenn Jean-Pierre Dresco von seiner Tätigkeit als Waadtländer Kantonsarchitekt berichtet, geht es nicht um allein Objekte, Formen und Volumen, sondern um die Philosophie des Bauens, die Ethik der gesetzlichen Vorgaben und die Organisation des Zusammenspiels von Natur, Wirtschaft und Gesellschaft, kurz „the big picture“.

 

Es ist spannend zu verfolgen, wie systematisch Jean-Pierre Dresco sein neu geschaffenes Amt aufbaute, um am Ende durch Struktur antizipieren zu können, worauf die Bautätigkeit im Kanton zulief und wie sie zu lenken war. In der Gestaltung der Abläufe und in der Organisation der Dienststellen zeigt sich sein architektonisches und unternehmerisches Gespür. Verständlich, dass ihn sein berühmter Vorgänger > Jean-Pierre Vouga, ein Pionier der Raumplanung, vom Grossprojekt CHUV (Waadtländer Universitätsspital) wegholte und zum Kantonsarchitekten machte.

 

Beide setzten auf Köpfe: Hochkompetente selbständige Teams, zusammen­gesetzt aus Spitzenleuten, erhielten die Aufgabe, klar umrissene Projekte zu formulieren und aus höherer Warte dergestalt zu begleiten, dass die Details in der Kompetenz der Fachleute in den Architekturbüros und Bauunternehmen blieben. Bei den Kantonsangestellten war Überlegenheit gefragt, nicht Mikromanagement.

 

Die kluge Vorgehensweise führte zu Effizienz. Als Jean-Pierre Dresco mit sechzig den „Plans Fixes“ Auskunft gab, konnte er erklären, dass von den 170 000 Gebäuden im Waadtland 80 000 elektronisch und denkmalpflegerisch erfasst seien. Auf dieser Basis sei der Kanton in der Lage, frühzeitig zu intervenieren, wenn sich Veränderungen abzeichneten, und die Beteiligten zur Lösungssuche zusammenzuführen.

 

In den 26 Jahren der Ära Dresco (1972–1998) war es mit dem Ancien Regime vorbei, wie es der Herzog von Saint-Simon vom Sonnenkönig beschreibt:

 

Sein Geist, der von Natur aus zum Kleinen neigte, beschäftigte sich mit allen möglichen Details. Er befasste sich ständig mit den letzten Kleinigkeiten bei den Truppen: Kleidung, Bewaffnung, Marschbewe­gungen, Übungen, Disziplin, mit einem Wort, alle Arten von niedrigen Details. Er beschäftigte sich nicht weniger einlässlich mit seinen Bauten, seiner privaten Organisation und seinen kulinarischen Details; er glaubte immer, denjenigen etwas beizubringen, die in diesen Bereichen am meisten wussten und als vermeintliche Neulinge Lektionen erhielten, die sie schon längst auswendig kannten. Diese Zeitverluste, die dem König als Verdienst einer kontinuierlichen Anwendung vorkamen, waren der Triumph seiner Minister, die nach ihren Ansichten und allzu oft nach ihrem Interesse das Grosse führten, während sie sich selbst applaudierten, dass sie ihn in den Einzelheiten ertrinken sahen.

 

Und das Ende?

 

Als der grosse König tot war, jubelten nicht bloss seine Feinde, sondern auch seine Untertanen, die Mauern von Paris bedeckten sich mit Pasquillen, die Menge verfolgte seinen Leichenzug mit Schimpfreden und Steinwürfen, und in den Provinzen wurden Dankgottesdienste abgehalten.

(Egon Friedell)

 

Anders verhalten sich die Dinge bei Jean-Pierre Dresco. Der Film mit ihm endet zwar abrupt. Er ist nur halb so lang wie angegeben. Aber dafür übertrifft sein Eintrag in der französischen Wikipedia an Umfang und Gewicht die Artikel der anderen kantonalen Chefbeamten. Und als Fazit findet sich da:

 

Die „Dresco-Jahre“ waren Scharnierjahre, in denen die öffentliche Funktion und der Auftrag des Hochbauamts im Rahmen gesellschaftli­cher Überlegungen, die die Architektur des Alltags betrafen (Schulbau­ten, Krankenhäuser, Gerichte, Gefängnisse), aufgewertet wurden. Jean-Pierre Dresco war in der Lage zu organisieren, Dynamik zu entfachen, Initiativen zu unterstützen, aber auch, wenn nötig, zu korrigieren.

 

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