Antoine Poncet: Bildhauer.

5. Mai 1928 – 13. August 2022.

 

Aufgenommen am 21. Oktober 2004 in Lausanne.

Antoine Poncet – Association Films Plans-Fixes

 

> Ab 1966 erobern Antoine Poncets Grossskulpturen die Plätze. Von da an wird jährlich mindestens eine aufgestellt, in Genf, in Paris, in Toronto, in Chicago, in New Orleans, in Peking, in Baden-Baden, in Lausanne, in Martigny, in Shanghai ... ununterbrochen bis 2020. 2022 erlischt der Bildhauer mit 94 Jahren, reich gesegnet an Werken und Tagen. <

 

Antoine Poncet wurde in eine Künstlerfamilie hineingeboren. Sein Vater Marcel, Schüler von Ferdinand Hodler, schuf Bilder, Glasmalereien, Mosaike und wurde zu „einem der wichtigsten Vertreter der modernen sakralen Kunst in der Westschweiz, u.a. mit Arbeiten in den Kirchen Notre-Dame in Genf und Saint-Paul in Grange-Canal (Gem. Chêne-Bougeries) sowie mit den Evangelisten- und Kreuzigungsfenstern von 1922 und 1927 in der Kathedrale von Lausanne“ (Historisches Lexikon der Schweiz).

 

Antoine Poncets Grossvater mütterlicherseits war der französische Künstler Maurice Denis. Er hatte in Paris der Gruppe der Nabis angehört. Als Maler, Kunsttheoretiker und -historiker kannte er alle Welt. Der Enkel begleitete ihn auf seinen Atelierbesuchen. Bei Constantin Brancusi fragte Maurice Denis: „Warum haben Sie diese Statue so klein gemacht? Grösser käme sie besser zur Geltung!“ „Gewiss“, antwortete der Künstler, „aber ich kann mir keinen grösseren Steinblock leisten.“ – Jahre später stellte sich Antoine Poncet dasselbe Problem.

 

Wie die Künstlerkinder > Anne Ansermet (Tochter des Dirigenten), > Fernand Auberjonois (Sohn des Malers) und > Igor Ustonov (Sohn des Schriftstellers) bekam Antoine Poncet durch sein Milieu tausend Anregungen.

 

„Seht, liebe Kinder“, sagte der 69-jährige Goethe, „was wäre ich denn, wenn ich nicht immer mit klugen Leuten umgegangen wäre und von ihnen gelernt hätte? Nicht aus Büchern, sondern durch lebendigen Ideentausch, durch heitere Geselligkeit müsst ihr lernen!“

 

Antoines Mutter war liebevoll, warm und gläubig. Sie legte den Boden für Antoine Poncets Spiritualität. Wenn er in den „Plans Fixes“ vom inneren Leben spricht, das in den Statuen Ausdruck sucht, spricht er eine Vorstellung aus, die Goethe in die Worte fasste:

 

Schon damals [in meinen Jünglingstagen] hatte sich bei mir eine Grundmeinung festgesetzt, ohne dass ich zu sagen wüsste, ob sie mir eingeflösst, ob sie bei mir angeregt worden oder ob sie aus eignem Nachdenken entsprungen sei. Es war nämlich die: bei allem, was uns überliefert, besonders aber schriftlich überliefert werde, komme es auf den Grund, auf das Innere, auf den Sinn, die Richtung des Werks an; hier liege das Ursprüngliche, Göttliche, Wirksame, Unantastbare, Unverwüstliche.

 

Diese aus Glauben und Schauen entsprungene Überzeugung, welche in allen Fällen, die wir für die wichtigsten erkennen, anwendbar und stärkend ist, liegt zum Grunde meinem sittlichen sowohl als literarischen Lebensbau und ist als ein wohlangelegtes und reichlich wucherndes Kapital anzusehn.

 

Dem zweihundert Jahre später geborenen Bildhauer geht es – wie dem Dichter – ebenfalls darum, der schlimmen Welt mit einem Werk zu antworten, das die Menschen aufrichtet. Schiller sagte: „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.“ Und Goethe:

 

Die wahre Poesie kündet sich dadurch an, dass sie als ein weltliches Evangelium durch innere Heiterkeit, durch äusseres Behagen uns von den irdischen Lasten zu befreien weiss, die auf uns drücken. Wie ein Luftballon hebt sie uns mit dem Ballast, der uns anhängt, in höhere Regionen und lässt die verwirrten Irrgänge der Erde in Vogelperspektive vor uns entwickelt daliegen. Die muntersten wie die ernstesten Werke haben den gleichen Zweck, durch eine glückliche geistreiche Darstellung so Lust als Schmerz zu mässigen.

 

Wichtige Anregungen kamen vom heiteren, humorvollen Hans Arp. Schon die erste Begegnung schlug ein. Als Antoine Poncet von ihr erzählt, treten ihm Tränen in die Augen: „Sie sehen, ich bin bewegt. Als erstes fragte mich Arp: ‚Haben Sie ein Auto?’ Ich antwortete: ‚Warum?’ Darauf Arp: ‚Ich schenke Ihnen eins.’“

 

Antoine Poncet arbeitete vier Jahre bei Hans Arp und stand ihm als Steinmetz zur Seite. Daneben schuf er eigene Plastiken. Einmal zeigte er dem Meister eine Grossskulptur. Sie stand auf hohen Beinen, senkte sich aber auf dem weichen Boden ein und begann, sich bedrohlich zu neigen. „Stossen Sie sie um!“, rief Arp, „dann bekommen Sie vier Plastiken!“

 

Ein andermal zeigte Antoine Poncet dem Mentor eine menschliche Plastik aus Holz. „Haben Sie eine Säge?“, fragte Arp. „Ja, warum?“ „Holen Sie sie! Und jetzt helfen Sie mir!“ Arp setzte das Sägeblatt auf den Rumpf der Gestalt und fing an, es mit Poncets Hilfe hin und her zu ziehen. „Sie können gut sägen!“, stellte er anerkennend fest. Als der Vorgang beendet war, Arp legte den Rumpf beiseite und stellte den Kopf auf die Beine der Figur. „Sehen Sie: So ist es viel interessanter!“

 

Zehn Jahre später fehlten Antoine Poncet die Mittel für den Schritt zur Grossskulptur. Er entschloss sich, für den Kauf von Marmor den amerikanischen Industriellen Nathan Cummings anzuschreiben. Der antwortete postwendend, er übernehme für die nächsten beiden Jahre sämtliche Kosten. Er solle die Rechnungen einfach an seinen Notar in Paris schicken ...

 

Mit dem Wechsel von der figürlichen zur konkreten Kunst gelang es Antoine Poncet, für den Gegensatz von Ruhe und Bewegung in seinen Statuen ein elegantes Gleichgewicht zu finden. Meist stehen die Plastiken auf einer dünnen Spitze und drücken eine Dynamik aus, für welche, gleich wie bei der Musik, der Sprache die Worte fehlen; „hier liege das Ursprüngliche, Göttliche, Wirksame, Unantastbare, Unverwüstliche“.

 

Im Hinblick auf den Kräfteschwund im hohen Alter beginnt Antoine Poncet, wie er mit 78 Jahren der Kamera erzählt, in der Zweidimensionalität von Collagen das Gleichgewicht zu suchen. Er befinde sich noch lange nicht am Ende seiner Forschungen, sagt er, und hoffe, möglichst alt zu werden. Der Wunsch wird ihm gewährt. Er erreicht das hohe Alter von 94 Jahren.

 

Weimar 1828.

 

Tee bei Ottilie [von Goethe]. Man stand umher, sprach mit gedämpfter Stimme, sah sich bei jedem Geräusch erschrocken nach der Tür um, als ob eine Geistererscheinung erwartet würde, aber sie kam nicht. Ottilie sollte sie heraufbeschwören, doch die irdischen wie die himmlischen Geister sind eigensinnig.

 

Man wurde unruhig. [Ludwig] Tieck wechselte die Farbe, biss sich auf die Lippen, immer häufiger flogen die unsichtbaren Engel durchs Zimmer. Ich [Jenny von Pappenheim] wandte mich an Eckermännchen, der still in einer Ecke stand und eben sein unvermeidliches Notizbuch eingesteckte. „Er will nicht“, sagte er; da nahm ich meinen Mut zusammen und ging hinunter. Die ersten Stufen lief ich, die letzten schlich ich nur langsam, denn ich fürchtete mich doch etwas und wäre fast schon umgekehrt, wenn ich mich nicht vor [dem Diener] Friedrich geschämt hätte. Er wollte mich nicht melden; ich solle nur so hineingehen, meinte er.

 

[Der 79-jährige] Goethe stand am Schreibpult im langen offenen Hausrock, einen Haufen alter Schriften vor sich; er bemerkte mich nicht, ich sagte schüchtern:

 

„Guten Abend!“

 

Er drehte den Kopf, sah mich gross an, räusperte sich – das deutliche Zeichen unterdrückten Zorns. Ich hob bittend die Hände.

 

„Was will das Frauenzimmerchen?“, brummte er.

 

„Wir warten auf den Herrn Geheimrat, und Tieck –“

 

„Ach was“, polterte der alte Herr, „glaubt Sie, kleines Mädchen, dass ich zu jedem laufe, der wartet? Was würde denn aus dem da?“, und damit zeigte er auf die offenen Bogen; „wenn ich tot bin, macht’s keiner. Sagen Sie das droben der Sippschaft. Guten Abend.“

 

Ich zitterte beim Klang der immer mächtiger anschwellenden Stimme, sagte leise „Guten Abend“, doch es mochte wohl sehr traurig geklungen haben, denn Goethe rief mich zurück, sah mich freundlich an und sagte mit ganz verändertem Tonfall:

 

„Ein Greis, der noch arbeiten will, darf nicht jedem zu Gefallen seinen Willen umstimmen; tut er’s, so wird er der Nachwelt gar nicht gefallen. Gehen Sie, Kind, Ihre frohe Jugend wird denen da oben besser behagen, als heute Abend mein nachdenkliches Alter.“

 

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