31. März 1938 – 26. Juli 1921.
Aufgenommen am 2. Februar 1998 in Nyon.
Jean-Pierre Hocké – Association Films Plans-Fixes
> Der Prominente empfängt das Kamerateam nicht bei sich daheim. Er stellt sich für die Aufnahme in einem Café zur Verfügung. Also an einem öffentlichen Ort, wo ihn jeder sehen darf. Und dort er sagt auch nur, was jeder hören darf. Demzufolge erscheint Jean-Pierre Hocké wohl an einem Bistrot-Tisch. Doch zu ihm kommt man nicht. <
Das Telefonverzeichnis kennt seit zwei Jahren den Aufnahmeort nicht mehr. „Le Maître Jacques“ ist dauerhaft geschlossen. Vorbei die Zeit, als sich die Bevölkerung der Altstadt von Nyon dort zu einer Tasse Kaffee traf. Damals setzte sich Jean-Pierre Hocké gern an einen Tisch, um zu vernehmen, was in der Heimat so gelaufen war, während er – in der Regel ein halbes Jahr – seine Auslandseinsätze geleistet hatte.
Fürs Internationale Rote Kreuz hatte er zwischen 1968 und 1984 Missionen an allen Brennpunkten der Welt geleitet. Dann war er, auf Wunsch von US-Präsident Ronald Regan, zum Leiter des UNO-Hochkommissariats für das Flüchtlingswesen (UNHCR) gewählt worden. Vier Jahre lang versah er das Amt, dann trat er 1989 zurück. Die „Affäre Hocké“ hatte ihn diskreditiert. Die Medien hatten berichtetet, er habe öffentliche Gelder für private Zwecke verwendet.
Acht Jahre später stellt Patrick Ferla, der Gesprächsleiter der „Plans Fixes“, fest: „Die Untersuchung hat Sie in allen Punkten reingewaschen. Hat sich jemand bei Ihnen entschuldigt?“ „Nein.“ „Warum sind Sie nicht vor Gericht gezogen?“ „Das hätte endlos lange gedauert. Ich schaue lieber vorwärts.“ Jetzt arbeitet Jean-Pierre Hocké, immer noch für humanitäre Belange, als Consultant.
Während des Gesprächs wird der 60-Jährige nie konkret. Das ist zum Teil wohl seiner Persönlichkeit geschuldet. Er ist ein Mensch, der sich zurücknehmen kann: „Zuweilen ist es passend, dunkel zu sein“, erklärte Balthasar Gracián. Mit diesem Verhalten eckt man nicht an und bleibt mehrheitsfähig. Die anderen – Staatschefs, Rebellenführer, Politiker, Diktatoren – sind, ihrer Rolle gemäss, Ego-Player. Neben ihnen darf sich ein Rotkreuz- und Uno-Mandatar nicht hervortun. So gesehen, ist es naheliegend, dass ihn die „Plans Fixes“ auf einer DVD mit > François Nordmann zusammengebracht haben. Der frühere Diplomat hält sich ebenfalls ans Allgemeine und lässt sich nicht auf die Äste hinaus. Gracián: „Manche gleichen in ihrer Fassungskraft Gefässen, die zwar viel fassen, aber nur wenig von sich geben.“
Angesichts des millionenfachen Elends, mit dem er sich beruflich befassen musste, hat die Befindlichkeit seines kleinen Ichs für Jean-Pierre Hocké ohnehin jede Bedeutung verloren. Die Folge ist, dass man nun man nichts über seine Kindheit und Jugend vernimmt, nichts über seine Vorlieben, nichts über seine Freundschaften, nichts über seine seelische Entwicklung, nichts über sein Privat- und Familienleben, nichts über seine Persönlichkeit. Der Mensch Hocké bleibt hinter der Öffentlichkeitsfassade verschanzt. Das macht die Begegnung mit ihm enttäuschend. Vielleicht ein Naturgesetz?
Viele scheinen gar gross, bis man sie persönlich kennenlernt: dann aber dient ihr Umgang mehr, die Täuschung zu zerstören, als die Wertschätzung zu erhöhen. Keiner überschreitet die engen Grenzen der Menschheit: alle haben ihr Gebrechen, bald im Kopfe, bald im Herzen. Amt und Würde gibt eine scheinbare Überlegenheit, welche selten von der persönlichen begleitet wird: denn das Schicksal pflegt sich an der Höhe des Amtes durch die Geringfügigkeit der Verdienste zu rächen.
(Balthasar Gracián.)
Oder doch nicht? Das Gespräch mit > Fernand Scheller und > Michel Mermod verläuft viel aussagereicher. Bei ihnen begegnet man zwei humanitär Engagierten, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Es gibt also solche und solche.
Holk wollte seine Diskretion versichern, und dass er Dinge, die nicht direkt für ihn gesprochen würden, überhaupt gar nicht höre; die Prinzessin aber sagte: „Nein, lieber Holk, Diskretion, das ist ein langes und schweres Kapitel. Ich beobachte diese Dinge nun seit fünfundfünfzig Jahren, denn mit fünfzehn wurd’ ich schon eingeführt.“
„Aber Königliche Hoheit werden sich doch der Diskretion Ihrer Umgebung versichert halten.“
„Gott sei Dank, nein“, erwiderte die Prinzessin. „Und Sie können sich gar nicht vorstellen, mit wie viel Ernst ich das sage. Diskretion à tout prix kommt freilich vor, aber gerade, wenn sie so bedingungslos vorkommt, ist sie furchtbar; sie darf eben nicht bedingungslos auftreten. Die Menschen, und vor allem die Menschen bei Hofe, müssen durchaus ein Unterscheidungsvermögen ausbilden, was gesagt werden darf und was nicht; wer aber dies Unterscheidungsvermögen nicht hat und immer nur schweigt, der ist nicht bloss langweilig, der ist auch gefährlich. Es liegt etwas Unmenschliches darin, denn das Menschlichste, was wir haben, ist doch die Sprache, und wir haben sie, um zu sprechen … Ich weiss, dass ich meinerseits einen ausgiebigen Gebrauch davon mache, aber ich schäme mich dessen nicht, im Gegenteil, ich freue mich darüber.“
[...]
„Glauben Sie mir, es ist nichts so nichtig, dass es nicht eine Prinzessin interessieren könnte. Je mehr Klatsch, desto besser. Tom Jensen war in Indien und hat eine Schwarze geheiratet, und die Töchter sind alle schwarz, und die Söhne sind alle weiss; oder Apotheker Brodersen hat seine Frau vergiftet, es heisst mit Nikotin; oder Forstgehilfe Holmsen, als er gestern Abend aus Liebchens Fenster stieg, ist in eine Kalkgrube gefallen – und ich kann Ihnen versichern, dergleichen interessiert eine Prinzessin mehr als die ganze schleswig-holsteinsche Frage.“
Das verriet Theodor Fontane, der Menschenkenner, in seinem Roman „Unwiederbringlich“. Jean-Pierre Hocké jedoch behält dergleichen für sich.