Jack Rollan: Chansonnier, Chronist.

3. März 1916 – 3. Mai 2007.

 

Aufgenommen am 13. Mai 1998 in Lausanne.

Jack Rollan – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Jack Rollan war Journalist. So bezeichnet ihn die französische Ausgabe von Wikipedia. (Die deutsche kennt ihn nicht.) Das heisst: Bei ihm kam der Stoff von aussen. Die Aktualität gab den Anlass. Im Unterschied zum Dichter und zum Wissenschafter, die ihre Texte erst vorlegen, wenn sie vollendet sind, entstanden Jack Rollans Sachen auf Termin, das heisst mit schwankendem Perfektionsgrad. Aber weil sie mit der Aktualität zu tun hatten, wurden sie vom Publikum verschlungen. Das machte ihn zum Begriff. <

 

Den Anlass zu Jack Rollans Texten, Kolumnen, Satiren und Chansons bildete in der Regel ein Vorfall, der ihn empörte oder belustigte – manchmal auch beides – wie etwa 1974 der Tod des Kardinals Jean Daniélou in den Armen einer Prostituierten. Doch die Genfer Tageszeitung „La Suisse“ weigerte sich, den Text abzudrucken, worauf Jack Rollan die Zusammenarbeit nach neun Jahren beendete. Es entsprach eben seiner Natur, die Dinge auf den Eklat hin zuzutreiben. Das hatte sich mit „Le bonjour de Jack Rollan“ (so der Name der des publizistischen Gefässes) schon ereignet, als es der scharfzüngige Chronist unter dem gleichen Titel bei Radio Lausanne betrieben hatte.

 

Wir befinden uns in der Nachkriegszeit und vor dem Aufkommen des Fernsehens. Die Leute sind hingerissen vom Mut, mit dem der Pamphletist das Ungereimte beleuchtet, und von der Einfallskraft, mit der er dem Altvertrau­ten neue Facetten abgewinnt. Durch sein „Bonjour de Jack Rollan“ fühlen sie sich so bereichert, dass sie keine Sendung verpassen wollen.

 

Bei der Aufnahme für die „Plans Fixes“ erzählt Jack Rollan, dass seinetwegen ein Zug regelmässig mit Verspätung unterwegs war: „Ich habe das erst nachträglich erfahren. Sonst hätte es ein Sujet für die Sendung gegeben.“ Die Gattin eines Stationsvorstands in der Nähe von Lausanne hörte konsequent „Le bonjour“ zuende, bevor sie aus Dienstwohnung aufs Gleis trat. Doch solange sie den Wagen nicht bestiegen hatte, schaltete der Bahnbeamte das Abfahrts­signal nicht auf grün.

 

Der Erfolg liess Jack Rollan indessen auch die Bitterkeit des Sprichworts „Viel Feind’, viel Ehr’“ auskosten. (Die Maxime geht auf den Wahlspruch Georgs von Frundsberg [1473–1528] zurück. Er war Kriegsoberst im Dienst des deutschen Kaisers Maximilian I. [1459–1519].)

 

Die wirtschaftliche und politische Prominenz des Genferseebeckens zahlte dem populären Radiomann alle Angriffe mit Zinsen zurück. Sie benützte ihre Kanäle zu den Studiodirektoren der Westschweiz und den Generälen der Schweizeri­schen Rundspruchgesellschaft (SRG), um Jack Rollan mehrmals zu Widerruf und Entschuldigung am Sender zu zwingen. Nicht ganz unverschuldet. In der Hitze liess es der Satiriker an Mässigung fehlen, und in der Eile verbreitete er manchmal ungeprüfte Informationen. Das erklärt der Karikaturist > André Paul in dem ihm selber gewidmeten „Plans Fixes“-Porträt.

 

Zermürbt, gab Jack Rollan mit 36 Jahren im Oktober 1952 das Radiomachen auf. Aber schon hatte er sich in die Geschichte des Mediums eingeschrieben mit verschiedenen ephemeren und einem dauerhaften Erfolg. Zu den vergessenen Strassenfegern gehört die satirische Chansonsendung „Jane et Jack“ in der Kriegszeit, an die sich die 82-jährige > Jane Savigny 1994 mit Wärme zurückerinnert. Das Zusammenspiel der beiden wirkte lebhaft und improvisiert – und manchmal war es das auch, weil Jack die Textblätter erst zur Ausstrahlung ins Studio brachte.

 

Nach dem Krieg half Jack Rollan bei der Gründung der „Glückskette“ mit. 1946 war die „Chaîne du bonheur“ eine wöchentliche Sendung von Radio Lausanne; heute eine Stiftung mit Sammeltagen in allen Radio- und Fernsehprogrammen der SRG. Zu den aktuellen Sammlungen gehören „Hilfe für Afghanistan“ (Spenden­stand: 3’490’208 Franken), „Coronavirus Inter­national“ (Spendenstand: 9’126’256 Franken) und „Coronavirus Schweiz“ (Spendenstand: 43’457’744 Franken).

 

Nach dem Austritt vom Radio benützte Jack Rollan die Marke „Le Bon Jour de Jack Rollan“ als Titel zur Gründung einer eigenen Wochenzeitung. Sie brachte es zwischen 1952 und 1959 auf eine Auflage von 100’000 Exemplaren. Und wieder bereiteten Hast und Schludrigkeit der Sache das Grab. Jack Rollan hatte ungeprüfte Informationen gedruckt; das zog verschiedene Rechts­händel nach sich; das Unternehmen blutete aus.

 

Auch bei seinem Zirkusprojekt vernachlässigte Jack Rollan das Realitäts­prinzip. Das Fiasko riss ihn zu Boden, und er brauchte sechs Jahre, um wieder auf die Füsse zu kommen und einen Teil der Gläubiger zufrieden­zustellen. „Es fliegt kein Vögelein so hoch, es lässt sich nicht wieder nieder …“, pflegte der Muriger Primarlehrer Max Strasser bei einer Glückssträhne im Jass zu sinnieren.

 

„Ich bin ein Kind geblieben“, sagt der 82-jährige Journalist, Pamphletist und Satiriker bei der Filmaufnahme. „Ich habe immer noch tausend Ideen. Ich bin immer noch bereit, Wagnisse einzugehen, Dinge zu machen, von denen ich nichts verstehe, die zu viel kosten und von denen mir alle abraten.“

 

Und Jack Rollan zieht das Fazit:

 

Ich bewegte mich immer zwischen Menschen, die sich dem, was ich tun wollte, widersetzten, und anderen, die mir vorwarfen, das Meine nicht zu leisten. Ich habe die Vorwürfe aufgelistet:

 

Du hast deine Turnübungen nicht gemacht.

Du hast dein Bett nicht gemacht.

Du hast dein Gebet nicht gemacht.

Du hast deine Klavierübungen nicht gemacht.

Du hast deine Schuhe nicht gemacht.

Du hast deine Matura nicht gemacht.

Du hast deine Mutter keine Freude gemacht.

Du hast deinen Roman nicht gemacht.

Du hast mein Glück nicht gemacht.

Du hast nicht gemacht, was man von dir erwartete.

 

Was hast du denn gemacht in all der Zeit, in der du nichts gemacht hast?

 

Ich habe den Schlaumeier gemacht.

Ich habe hunderttausend Träume gemacht

Von gelösten Problemen,

Von gemachten Schuhen,

Von gedruckten Romanen.

Ich habe geträumt,

Dich glücklich gemacht zu haben.

 

Und um alles zu sagen:

Ich habe die Liebe gemacht

Und nicht den Krieg.

 

Wenn man die Wahl hat,

Soll man nie machen,

Was man machen soll.

 

Mit 86 Jahren heiratete Jack Rollan Irène Betanelli (geborene Delessert), die Gefährtin der letzten dreissig Jahre. Drei Jahre später wurde seine Asche auf dem Genfersee verstreut. Die Beisetzung erfolgte im engsten Kreis; eine Woche nach dem Tod am Donnerstag, den 3. Mai 2007. 

 

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