Werner Jeker: Grafiker.

25. Dezember 1944 –

 

Aufgenommen am 25. November 2009 in Châtillens.

Werner Jeker – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Werner Jeker spricht ausgesprochen schlecht Französisch. Immer wieder braucht er die falschen Wörter an der falschen Stelle; verwendet die falschen Laute; lässt Artikel und Präpositionen aus; macht unkorrekte Sätze. Mit diesem fehlerhaften Sprachgebaren erntete er als Lehrling in Lausanne Spott und Hohn. Gut, sagte sich der junge Deutschschweizer, und beschloss, die Sprache nie korrekt zu lernen. Was er dafür lernte, war visuelle Kommunika­tion. Mit ihr brachte er es – von Lausanne aus – an die Weltspitze. <

 

Mit landläufigen Augen betrachtet, hatte Werner Jeker, Jahrgang 1944, eine schlechte Erziehung. In Mümliswil, einem abgelegenen Dorf, wo die Passwangstrasse hinter der Balsthaler Klus anzusteigen beginnt, kam er in ein Klassenzimmer mit fünfzig anderen Kindern; an der Rückwand befanden sich die Bänke der grossen, bedrohlichen Sitzengebliebenen. Der Junge flüchtete sich, wie schon zuhause, ins Zeichnen. Bei dieser Betätigung war er angenehm still, störte nicht, wurde übersehen und von niemandem belästigt.

 

Noch glücklicher allerdings war Werner Jeker in den Stunden, die er ausserhalb der Schule in der Werkstatt des Onkels, einem Kunsttischler, verbrachte. Der Ältere fragte nicht: „Hast du keine Schule?“ oder: „Ist der Unterricht schon aus?“, sondern liess den Kleinen an seiner Seite wie selbstverständlich vor sich hinwerkeln. Zur Sicherheit brachte er ihm bloss von Anfang an bei, wie man die Maschinen bedient und die Stücke in der Hand hält. Dann liess er ihn frei. – Wenn sich der Lehrer über Absenzen beklagte, nahm ihn der Vater, seinerseits Handwerker (Spengler), in Schutz.

 

Pädagogisch gesehen, hätte es Werner Jeker nicht besser gehen können. In seinem nachgelassenen Werk „Mut zur Erziehung“ schrieb Jakob R. Schmid, Emeritus für Pädagogik an der Universität Bern:

 

Ich glaube nicht, dass unsere Schulen den psychologischen Tatbestand ernst genug nehmen, dass der Mensch, um leisten zu lernen, zuerst einmal lange, ausgiebig und hingebungsvoll das tun dürfen muss, was er gerne tut. Ich glaube nicht, dass unsere Schulen genügend sehen, dass der Mensch nicht nur bis zum siebten Lebensjahr, sondern während seiner ganzen Jugend sich vor allem einmal so auf das Leistenkönnen vorbereiten muss.

 

Wenn die Liebhaberei des Schülers nicht gerade „das gute Buch“ oder das Anlegen eines Herbariums auf grauem Fliesspapier ist – wenn also diese Liebhaberei nicht offensichtlich und direkt mit ihren eigenen Zielsetzungen konvergiert, neigt die Schule dazu, sie als störende Ablenkung, als unerwünschte Kräfteabsorbierung zu werten und sie, auf dem Weg über die Eltern, zu bekämpfen.

 

Um wieviel erzieherischer, leistungserzieherischer könnte die Schule wirken, wenn jeder Fachlehrer bereit wäre, zu einem Schüler, der bei ihm mehr leisten könnte, so zu sprechen: „Schön, ich begnüge mich damit, dass du bei mir das notwendige Minimum leistest, weil ich dein besonderes Interesse und deine besonderen Leistungen in dem und dem anderen Fache kenne!“

 

Für die Oberstufe musste Werner ins benachbarte Balsthal an die „Bez“ (Bezirksschule) und kam vom Regen in die Traufe. Die einheimischen Buben verspotteten ihn für seinen Dialekt. Die Mümliswiler-Sprachfärbung galt ihnen als Zeichen von Rückständigkeit. In dieser Lage tauchte der Heranwach­sende ab. Seine Schulnoten wurden desaströs. Da sagte eines Tages die Mutter beim Mittagessen zum Vater: „Du musst etwas unternehmen!“

 

Gleich forderte der Vater Werner auf: „Komm!“ Er führte ihn nach Olten zu einem Onkel, der dort ein Grafikatelier betrieb, erklärte den Sachverhalt, dann fuhren sie zu dritt weiter nach Luzern an die Kunstgewerbeschule, verlangten ein Gespräch mit dem Direktor – und schon war der Fünfzehneinhalbjährige zum Vorkurs aufgenommen, ohne Zeugnisse, ohne Examen.

 

„Ich habe die ganze Kindheit hindurch wenig von meinem Vater gehabt“, erklärt Werner Jeker. „Er kam bloss zum Essen an den Tisch und ging dann wieder zur Arbeit. Gleichwohl hat er das Entscheidende geleistet.“ „Er gab dir deine erste Chance“, konstatiert Jacques Poget, der Interviewer bei der Aufnahme für die „Plans Fixes“. „Nein die Chance musste ich selber ergreifen. Aber der Vater stellte sich neben mich, brachte mich an die Kreuzung und wies mir den Weg. Dafür bin ich ihm unendlich dankbar.“

 

Zur Lehre kam der 16-jährige Werner Jeker nach Lausanne zu Hugo Wetli. Für den Grafiker vermerkt Wikipedia als Hauptauftrag­geberin die Swissair. Doch Bedeutendes schuf Wetli auch als Künstler. „Seine Malerei zählt aus heutiger Sicht zu den markantesten Formulierungen schweizerischer Landschafts­malerei der neueren Zeit.“ (Annelise Zwez, 1977) Die Kunstsamm­lung der Mobiliar würdigt den Maler:

 

Stadtbilder, Landschaften und Figuren waren die Motive, denen sich Hugo Wetli widmete. Mit schnellem, sicherem Strich schuf er Gemälde, Zeichnungen und Lithografien von vibrierender Lebendigkeit und einer häufig expressiven Farbigkeit. Sie nehmen uns mit auf Wetlis Reisen ins Ausland, führen uns aber auch immer wieder zurück in die Bergwelt der Schweiz und ins Bernbiet, seine Heimatregion. – Eine Besonderheit seiner Werke ist, dass er seine Motive stark nach vorn, in die Bildfläche holt und auf eine tiefenräumliche Darstellung weitgehend verzichtet; Afrikanischer Garten und Einfahrt (Emmental) zeigen dies deutlich. Damit bezieht Wetli Position zu einem der zentralen Malerei-Diskurse des 20. Jahrhunderts: der Frage, ob die Illusion von Raum noch zeitgemäss oder das Bild als das zu behandeln sei, was es ist: zweidimensional.

 

Bei diesem Künstler, der am liebsten Pianist geworden wäre und deshalb statt eines Autos einen Steinway besass, erhielt Werner Jeker einen Schliff, wie ihn seinerzeit die Werkstattausbildung der Meister vor der Verschulung der Künste vermittelte. Als erstes musste der Lehrling spüren, welche Musik der Lehrer beim Betreten des Ateliers hören wollte, und das entsprechende Tonband abspielen. Daneben musste er unzählige Bücher lesen. Wenn er von einer Reise zurückkam, war es selbstverständlich, dass er sein Skizzenbuch vorwies. Dann durfte er anfangen, dem Meister zur Hand zu gehen. Am Ende war der Weg frei, Eigenes zu versuchen.

 

Sein erstes Atelier eröffnete Werner Jeker mit Kulturplakaten. Kultur wollten die wenigsten machen, weil man damit nicht viel verdiente. Er arbeitete aber bald für die grossen Institutionen und brachte sich weiter durch Aufträge für > Freddy Buache (Cinémathèque Suisse), > René Berger (Musée d‘art de Lausanne), > Charles-Henri Favrod (Musée de l’Elysée) und René Gonzalez (Théâtre de Vidy).

 

Naheliegend, dass er von der schweizerischen Landesausstellung Expo 02 zur Mitwirkung eingeladen wurde. Vorgeschlagen war das Thema Schmerz. Werner Jeker brachte ein paar Entwürfe an die Sitzung und erhielt den Auftrag. Aber nicht für ein Plakat, sondern für einen Pavillon. „Ein Missverständnis“. Der Grafiker hatte die Ausschreibung – halt in Sprache verfasst – zu flüchtig gelesen. „Aber auf der Rückfahrt sagte ich mir: Ich mach’s!“ So kam er mit 56 erstmals dazu, nicht nur in der Fläche, sondern im Raum zu arbeiten, und Architektur, Bild, Video, Klang und Zeit in der Dreidimensionalität zu vereinigen.

 

Sieben Jahre später, zum Zeitpunkt der „Plans Fixes“-Aufnahme 2009, blickt Werner Jeker auf Aufträge aus Deutschland, Frankreich, Südkorea, Japan und China zurück. Zu den Sammlern seiner Plakate gehört, Gipfel der Anerken­nung, das MoMA.

 

So ist am Ende alles gut herausgekommen. Nochmals Jakob R. Schmid:

 

Die landläufig geübte Erziehungspraxis besteht darin, dass man fortwährend an Pseudo-Motivation appelliert, um Kinder und junge Leute zu „Leistungen“ zu bringen, und bei den weitaus meisten Praktikern, jedenfalls Praktikern der häuslichen Erziehung, wird ausschliesslich an diese Motivationen, insbesondere an die Motive des Zuliebetuns, der Furcht, des Geltenwollens und des Belohntwerdenwollens appelliert, wenn die spontane Bereitschaft des Kindes zu wünschen übrig lässt.

 

Bei sehr vielen Menschen wirken für das, was sie im Leben zu vollbringen haben, kaum je andere Motive. Dies heisst aber, dass sich sehr viele Menschen während ihres ganzen Lebens kaum je spezifisch kulturell verhalten, und ganz gewiss ist es so. Und gerade dafür hat Erziehung zu sorgen, dass ihr Zögling dereinst nicht zu diesen Menschen gehöre. Deshalb ist ihr Ziel in dieser Hinsicht, den Zögling so zu fördern, dass er dereinst nicht allein aus Erwerbsinteresse, um sozialer Geltung willen usw. fähig ist, Anstrengung und Überwindung auf sich zu nehmen, sondern immer wieder auch aus objektiver Motivation, also auch, weil er durch sein Tun Werthaftem im Leben Raum verschaffen will.

 

534 Views
Kommentare
()
Einen neuen Kommentar hinzufügenEine neue Antwort hinzufügen
Ich stimme zu, dass meine Angaben gespeichert und verarbeitet werden dürfen.*
Abbrechen
Antwort abschicken
Kommentar abschicken
Weitere laden
Dialog mit Abwesenden / Réponses aux Plans Fixes 0