Maria Bernasconi: Die Kämpfe einer engagierten Feministin.

14. September 1955 –

 

Aufgenommen am 31. August 2021 in Grand-Lancy.

Maria Bernasconi – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Am Ende der Karriere schildert die ehemalige sozialdemokratische National­rätin Maria Bernasconi vor der Kamera offen und fadengerade ihren Werdegang. Er führte sie aus wohlbehütetem Luzerner Katholizismus nach Genf ins kantonale Parlament, von dort zum Einsatz für Feminismus und Gleichstellung ins nationale Parlament – und von dort, nach insgesamt 24 Jahren Politik, mit sechzig ins Burnout. <

 

Am Ende ihrer vierten Legislatur als Nationalrätin war Maria Bernasconi müde. Zu oft war sie mit dem Kopf in die Wand gerannt. Die Männer, gegen die sie gekämpft hatte, waren unerschütterlich der Meinung gewesen, eine Frau müsse sagen:

 

Ein braves Weib gibt ihren Mann noch nicht auf, selbst wenn s’ schon Schläg’ kriegt hat von ihm, und ich sollt’ von mein’m Liebhaber lassen, weil ich vielleicht einmal Schläg’ kriegen könnt’? Nein, das ist zu weit herg’holt. Wenn ein Mann nur brav ist und treu, alles andere macht nichts.

 

Das Mannsvolk fand, der grösste Fehler einer Frau liege darin, dass …

 

Sie glaubt, was dem Weibe verboten ist, das darf der Mann auch nicht tun. Wie arrogant! Und es ist doch das konträre Verhältnis. Erlaubt sich das Weib das geringste, so leidet die Ehre des Mannes dabei; je mehr sich aber der Mann erlaubt, je niederträchtiger als er sie behandelt, und sie ertragt das Ding alles als stille Dulderin, desto mehr Ehre macht es ihr. Es gibt gar nichts Ausgezeichneteres für ein Weib, als wenn sie im Renommee als stille Dulderin ist.

 

Diese Ansichten malte Johann Nepomuk Nestroy 1839 in seiner Posse „Die verhängnisvolle Faschingsnacht“. Es habe sich, meint Maria Bernasconi, seither nicht genug verändert. Immer noch beträgt die Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau zwanzig Prozent. Wenn ihr heute aber die 40-jährigen Frauen sagen: „Es ist doch alles erreicht! Wir haben ja die rechtliche Gleichstellung! Uns stehen alle Wege offen!“, so hofft die 66-Jährige, dass die Erlahmung überwunden wird und die Generation der Enkelinnen die Fackel des Feminismus wieder aufnimmt und den Kampf zuendeführt. Denn für sie steht da immer noch die Mauer – die Mauer des Vorurteils:

 

Das Vorurteil is eine Mauer, von der sich noch alle Köpf’, die gegen sie ang’rennt sind, mit blutige Köpf’ zuruckgezogen haben.

 

(Nestroy: Der Talisman)

 

Warum das so ist, erklärte Eric Berne in seinem Klassiker „A Layman’s Guide to Psychiatry and Psychoanalysis“:

 

Der Mensch handelt und fühlt nicht danach, wie die Dinge wirklich sind, sondern nach dem geistigen Bild, das er von ihnen hat. Jeder Mensch hat Bilder von sich selbst, der Welt und den Menschen um ihn herum und verhält sich so, als ob diese Bilder und nicht die Objekte, die sie darstellen, die „Wahrheit“ wären.

 

Einige Bilder sind bei fast allen normalen Menschen gleich. Die Mutter ist tugendhaft und freundlich, der Vater streng, aber gerecht, der Körper stark und gesund. Wenn es einen Grund gibt, etwas Gegenteiliges zu denken, wollen die Menschen das tief in ihrem Inneren nicht glauben. Sie möchten weiterhin nach diesen universellen Bildern fühlen, unabhängig davon, ob sie dem entsprechen, was wirklich ist. Wenn sie gezwungen werden, die Bilder zu ändern, werden sie traurig und ängstlich, ja sogar psychisch krank.

 

Es ist harte Arbeit, ein Bild zu ändern, das nicht mehr haltbar ist. Darum machen die Menschen die Anpassung nicht gern. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, ist die Anstrengung, das mentale Bild der Welt zu verändern, um es der neuen Situation anzupassen, ziemlich anstrengend. Das Trauern führt zu Müdigkeit und Gewichtsverlust. Oft sind Trauernde, wenn sie morgens aufstehen, müder als vor dem Schlafengehen, und fühlen sich, als hätten sie harte Nachtarbeit geleistet. Der Grund ist, dass sie wirklich harte Nachtarbeit geleistet haben, indem sie ihre geistigen Bilder veränderten.

 

Obwohl der einzelne selbst seine Bilder im Laufe der Zeit allmählich ändern kann, möchte er nicht, dass andere versuchen, das für ihn zu machen, bevor er bereit ist. Aus diesem Grund schreien die Menschen während eines Streits und werden unruhig. Je besser die Logik des Gegners ist, desto ängstlicher ist der Mensch um die Sicherheit seiner liebgewonnenen Bilder besorgt, und desto lauter brüllt er, um sie zu verteidigen; und je ängstlicher ihn seine Gegner machen, desto mehr verabscheut er sie. Wir haben eine verständliche, aber unvernünftige Tendenz, Menschen abzulehnen, die uns in einem Streit „schlagen“.

 

In früheren Zeiten haben Möchtegern-Eroberer oft Boten hingerichtet, die ihnen schlechte Nachrichten überbrachten. Es war nicht die Schuld der Boten, dass sie das Bild des Kaisers von sich selbst als Welteroberer stören mussten, aber leider taten sie es und büssten für die Angst, die sie weckten. Es kostet den Mann immer noch den Hals, der das Selbst- oder Weltbild des Kaisers zerstört. Die Axt fällt zwar heute subtiler, und manchmal wird die Hinrichtung aufgeschoben, aber früher oder später kommt sie.

 

Diese Erfahrung machte auch Maria Bernasconi als Feministin im Parlament. Der Widerstand zermürbte sie. Wohl versuchte sie, sich eine dicke Haut zuzulegen, aber am Ende überwogen die Verletzungen.

 

Um zum Burnout zu gelangen, durchläuft man elf Stadien:

 

  1 Sehnsucht nach Anerkennung

  2 Zwang, sich zu beweisen

  3 Verstärkter Einsatz

  4 Subtile Vernachlässigung von Bedürfnissen und Konflikten

  5 Umdeutung von Werten

  6 Verstärkte Leugnung der aufgetretenen Probleme

  7 Rückzug

  8 Beobachtbare Verhaltensänderungen

  9 Depersonalisation / Verlust des Gefühls für die eigene Persönlichkeit
10 Innere Leere

11 Burnout

12 Depression

 

Wer sich in die Politik begibt (oder ins höhere Management), betritt einen Raum, der, wie Niccoló Macchiavelli erklärte, gezeichnet ist vom Kampf der Füchse mit den Wölfen. Die Wölfe verfolgen ihre Ziele mit Gewalt, die Füchse mit List. Dazwischen sind die Schafe, die von allem nichts merken.

 

Um Überlegenheit zu gewinnen, gibt es bewährte Rezepte. In ihrem Buch „Machiavelli für Kids“ hat Claudia Hart in Zusammenarbeit mit dem Realismus Studio Berlin 1995 die wichtigsten Lehrsätze kindgerecht aufgezeichnet.

 

Hier eine Auswahl:

 

Alle sagen, man soll nett sein, aber niemand hält sich daran. Wenn du dich gut benimmst und immer nett bist, wirst du bestimmt reingelegt.

 

Wenn du eine Gegend erobern willst, bring nicht nur den Boss um, sondern auch all seine Kinder!

 

Wenn du eine Gegend erobern willst, wo die Leute für sich selbst entscheiden konnten, musst du ALLES zerstören, vor allem jeden töten, der sich an die Zeit vorher erinnern kann. Denn solange sie sich erinnern, werden sie dir nie gehorchen.

 

Hab keine Angst, Leute zusammenzuschlagen, wenn’s sein muss. Versuch, mit ihnen zu reden, aber wenn das nicht klappt, weisst du ja, was zu tun ist.

 

Wenn die Leute gleich Angst vor dir haben, kannst du sie später besser rumscheuchen. Wenn du erstmal nett bist, versuchen sie, sich durchzu­mogeln, und du musst sie ständig bestrafen. Das macht dich auf Dauer unbeliebt.

 

Wenn du ganz oben bist, vergiss nicht, dass es besser ist, bei den Kleinen beliebt zu sein als bei den Grossen. Erstens sind es viel mehr, und ausserdem sind die Grossen so fies, dass du ihnen NIEMALS vertrauen darfst – wie wären sie sonst so weit gekommen?

 

Brich dein Versprechen, sobald für dich nichts mehr rauszuholen ist – das machen alle so.

 

Ein Blick auf den Planeten zeigt, wie viele Grosse nach diesen Rezepten handeln. Eine Politikerin wie Maria Bernasconi, die offen und fadengerade ihren Werdegang schildert, gehört zu den seltenen Lichtern, die den Nachthimmel erhellen wie > Arthur Maret, > Marx Lévy, > Georges Peters, > Jacques Vernet und > François Lachat. Sie haben es zwar nicht in die Geschichtsbücher gebracht, aber die Begegnung mit ihnen zeigt, dass immer wieder Gerechte aufstehen und den Menschen Hoffnung geben.

 

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